Was ich dir schon immer sagen wollte
achtundvierzig Stunden lang in einer Ecke seines Gesichtsfeldes tanzte und dann verschwand. Es blieb nichts zurück, so etwas war nicht ungewöhnlich, sagte ihm der Arzt. Jetzt vollführte der Traum oder das Ende des Traums in seinen Gedanken dasselbe. Er nahm an, das würde nach einer Weile weggehen. Und er hoffte, noch etwas anderes würde weggehen, wenn er wieder bei sich war, nämlich diese Ängste oder seltsamen Gedanken, Eugene könnte ins Wasser gehen – Selbstmord begehen wären nicht Eugenes Worte dafür; bestimmt würde er eine weithergeholte und raffinierte Beschreibung dafür wählen –, wofür die Vorführung am Morgen womöglich nur eine Probe war, eine Initiation.
Er war sehr müde. Schließlich gelangte er zu einer leeren Bank und saß dort lange Zeit, wusste nicht, ob er je die Kraft aufbringen würde, nach Hause zu gehen.
»Eugenes Tür ist nicht abgeschlossen, und sein Fenster steht weit offen«, sagte er zu Calla. Im Zimmer hinter ihr war es jetzt still. Sie lächelte ihn an wie zuvor. Er dachte daran, sich ihre Augen anzuschauen , doch soweit er es beurteilen konnte, waren sie normal. Er war so müde, so mitgenommen, dass er sich am Treppenpfosten festhalten musste.
»Er lässt seine Tür immer auf«, sagte Calla.
»Ich habe Grund zur Sorge um ihn«, sagte Mr. Lougheed zitternd. »Ich meine, wir sollten eine Behörde benachrichtigen.«
»Die Polizei ?«, fragte Calla mit leiser, entsetzter Stimme. »Das können Sie nicht machen. Das dürfen Sie nicht!«
»Es kann ihm etwas zugestoßen sein.«
»Er kann von hier weggegangen sein.«
»Falls ja, dann hat er all seine Sachen zurückgelassen.«
»Das kann er getan haben. Er kann einfach – wissen Sie, er kann plötzlich gedacht haben, er will weg, also ist er weggegangen.«
»Ich meine, er war durcheinander. Ich meine, er kann versucht haben … er ist vielleicht wieder ins Wasser gegangen.«
»Meinen Sie?«, fragte Calla. Er hatte erwartet, sie würde überrascht sein, dagegen protestieren, ihn für solch eine Idee sogar auslachen, doch stattdessen schien sie diese Möglichkeit langsam, verführerisch in ihrem Kopf aufblühen zu lassen. »Meinen Sie wirklich?«
»Ich weiß es nicht. Ich meine, er war durcheinander. Glaube ich. Es fällt mir schwer, zu beurteilen, wann einer von euch durcheinander ist oder nicht.«
»Er war nicht einer von uns«, sagte Calla. »Er war schon alt.«
»Aber kann sein, dass er das tun wollte«, sagte sie nach kurzer Pause. »Ist vielleicht einfach eins von all dem, was er tun wollte. Wenn er sich das vorgenommen hat, dann soll ihn niemand aufhalten, finde ich. Oder seinetwegen traurig sein. Ich bin nie wegen irgendwem traurig.«
Mr. Lougheed wandte sich ab. »Na dann gute Nacht«, sagte sie besänftigend. »Tut mir leid, wenn Ihnen Ihre Tür nicht gefällt.«
Mr. Lougheed dachte zum allerersten Mal, er könnte die Treppe nicht schaffen. Er befürchtete, seine Kraft könnte nicht einmal mehr dafür reichen. Möglich, dass er in eins der Hochhäuser umziehen musste, wie die anderen, wenn er weitermachen wollte.
Vergebung in Familien
Ich habe oft gedacht, angenommen, ich müsste zum Psychiater, und der würde natürlich etwas über meinen familiären Hintergrund wissen wollen, dann müsste ich ihm von meinem Bruder erzählen, und der Psychiater, der würde nicht mal abwarten, bis ich damit fertig bin, sondern mich einweisen.
Ich sagte das Mutter; sie lachte. »Du bist hart gegen den Jungen, Val.«
»Von wegen Junge«, sagte ich. »Mann.«
Sie lachte, sie gab es zu. »Aber denk dran«, sagte sie, »der Herr liebt die geistig Wirren.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte ich. »Du bist doch Atheistin.«
Für einiges konnte er nichts. Für seine Geburt zum Beispiel. Er wurde in der Woche geboren, in der ich in die Schule kam, was ist das denn für eine Terminplanung? Ich hatte schreckliche Angst, es war nicht wie heute, wo die Kinder schon jahrelang in den Kindergarten gegangen sind. Ich ging zum ersten Mal in die Schule, und alle anderen Kinder hatten ihre Mutter dabei, und wo war meine? Im Krankenhaus und bekam ein Baby. Was mir entsetzlich peinlich war. Diese Dinge waren damals mit viel Scham verbunden.
Es war nicht seine Schuld, dass er geboren wurde, und es war nicht seine Schuld, dass er auf meiner Hochzeit kotzte. Man stelle sich vor! Auf den Boden, auf den Tisch, er schaffte es sogar, die Torte zu treffen. Er war nicht betrunken, wie einige dachten, er hatte tatsächlich eine
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