Was ich dir schon immer sagen wollte
Pullover einer Collegestudentin und eine Spange in ihren schulterlangen Haaren (sie verkörperte die Collegestudentin von vor fünfzehn Jahren und war nicht so mit der Zeit gegangen wie Jeanette), und sie sprach mit leiser, kultivierter Stimme, was viele Leute in der Stadt als unterschwellig beleidigend empfanden. Dorothy hatte außerdem selten so viel Selbstvertrauen und Reizlosigkeit sich auf einem Gesicht begegnen sehen.
»Gutaussehende Männer suchen sich oft so ein Mädchen«, sagte Viola. »Kann es sein, dass sie nicht an gutem Aussehen interessiert sind, weil sie selbst so viel davon haben?«
Blair King näherte sich auf nachbarliche Art der Veranda. Kam aber nicht herauf. Stattdessen stellte er einen Fuß auf die Treppe und stützte sich auf sein Knie. Er sah tatsächlich gut aus, aber seine Züge wurden langsam gröber, müder. Sein Lächeln wie auch sein Tonfall waren eingeübt, mechanisch. Die Sorge um seine Frau hinterließ ihre Spuren.
»Jedes Mal, wenn ich komme oder gehe, bewundere ich ihr Auto.«
»Sie hat es voriges Jahr in Europa gekauft und per Schiff herbringen lassen. Wie geht es Ihrer Frau?«
Es machte Dorothy nichts aus, das zu fragen, obwohl sie die Geschichte kannte: Nancy King starb an Krebs. Der Tod mit sechsunddreißig mochte tragisch sein, aber um die Wahrheit zu sagen, die Bedeutung des Wortes tragisch verstand Dorothy nicht mehr. Sie fragte, um Konversation zu machen.
»Es geht ihr im Augenblick nicht allzu schlecht.«
»Ist es heiß im Krankenhaus?« Sie band ihn weiter ins Gespräch, weil ihr eine Idee kam.
»Der neue Flügel hat eine Klimaanlage.«
»Ich habe Blair King von nebenan eingeladen«, sagte Dorothy. »Ich habe ihn gebeten, herüberzukommen und den Abend mit uns zu verbringen.«
»Du lädst jemanden ein«, sagte Viola. »Was denn noch? Der Himmel stürzt ein.«
»Ich weiß nicht, was wir ihm vorsetzen sollen«, sagte sie später. »Er wird wahrscheinlich etwas Alkoholisches erwarten. Diese Leute vom Radio gehen abends nicht aus, um Tee zu trinken.«
»Vom Radio?«, fragte Jeanette. »Hat sich für mich gleich angehört wie ein angenommener Name. Ein Künstlername .«
»Wo ist der Sherry?«, fragte Dorothy. Sie selbst trank nichts; sie hatte die Wahrheit gesagt, als sie zu Protokoll gab, dass Rauchen ihr einziges Laster war; aber Viola hatte in ihrer Zeit als Bankiersfrau und Gastgeberin Sherry schätzen gelernt und seitdem meistens eine Flasche davon im Haus.
»Wie können wir ihm Sherry anbieten?«, wandte sich Viola hilfesuchend an Jeanette. »Du weißt, wie Sherry immer genannt wird? Das Getränk der alten Damen .«
»Ich fahre zum Spirituosengeschäft«, sagte Jeanette tröstend, »und hole eine Flasche Gin, ich werde auch Tonic kaufen und sehen, ob ich ein paar Limetten kriege, und das wird an einem heißen Abend sehr lecker sein. Niemand kann sich über einen Gin Tonic beschweren.«
Viola war immer noch nicht zufrieden. »Er wird etwas zu essen haben wollen.«
»Gurkensandwiches«, sagte Dorothy.
»Entzückend. Wie bei Oscar Wilde«, sagte Jeanette mysteriös. »Ich hole auch eine Gurke.« Vor sich hin summend flocht sie ihre Haare wieder zu einem Zopf – glücklich über die Aussicht, für eine halbe Stunde allein aus dem Haus zu können? –, rannte zu ihrem Auto und sang: »Gi-in u-und Tonic, Gur-ke u-und Limetten …«
»Sie geht barfuß einkaufen«, sagte Viola.
Am frühen Nachmittag lag Jeanette im Garten hinter dem Haus ausgestreckt in der Sonne. Viola konnte sie nicht sehen, zum Glück. »Nennt man das einen Bikini?«, hätte Viola gesagt. »Ich dachte schon, sie hat sich zwei Bänder umgebunden.«
Aber Violas Schlafzimmer ging nach vorn raus, Dorothys nach hinten. Beide hielten immer ein Mittagsschläfchen, es teilte den Tag auf. In ihrer Zeit als Lehrerin waren Mittagsschläfchen für Dorothy ein Luxus des Sommers gewesen. Das Unterrichten ermüdete sie in den letzten Jahren, und sie hatte nicht einmal den ganzen Sommer für sich, da das Erziehungsministerium in seiner unendlichen Weisheit beschlossen hatte, sie müsse drei Wochen in einem heißen möblierten Zimmer in Toronto verbringen und an Kursen teilnehmen, die sie befähigen würden, neue Methoden und Perspektiven in ihren Unterricht einzubringen. (Natürlich tat sie nichts dergleichen, sondern unterrichtete erfolgreich weiter so, wie sie es immer getan hatte.) Wenn sie aus Toronto zurückkehrte, kam Jeanette zu ihr. Aber Jeanette brachte ihre Lebensgewohnheiten kaum
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