Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
Baumwolle mit Gold- und Silberstickerei zu kaufen.
    »Darin fühle ich mich wie eine Kurtisane«, sagte sie. »Oder wie eine, die versucht, wie eine Kurtisane auszusehen, was schlimmer ist.«
    Wir verließen das Geschäft und gingen in ein Warenhaus, wo sie ein rosarotes Wollkleid mit Dreiviertelärmeln kaufte, dessen Knöpfe und Gürtel mit demselben Stoff bezogen waren, die Art von Kleid, die sie immer trägt und in der sie mit ihrer hochgewachsenen, flachbrüstigen Figur unweigerlich vertrocknet, verschämt und unbeugsam aussieht. Dann gingen wir in ein Antiquariat und beschlossen, einander Geschenke zu machen. Ich kaufte ihr Lalla Rookh , und sie kaufte mir Die Prinzessin , aus der wir uns gegenseitig vorlasen, während wir die Straße hinuntergingen:
    Tränen, eitle Tränen, ich weiß nicht, was sie bedeuten …
        Wir waren oft albern wie Schulmädchen. War das eigentlich ganz normal? Wir erfanden Geschichten über Leute, die wir auf der Straße sahen. Wir lachten so heftig, dass wir uns auf die Bank an einer Bushaltestelle setzen mussten, dann kam der Bus, und wir winkten ihn weiter, weil wir immer noch lachen mussten. Am Rande der Hysterie. Wir fühlten uns wegen des Mannes zueinander hingezogen oder unseretwegen zu dem Mann. Ich kam immer erschöpft von den Gesprächen und dem Gelächter nach Hause und sagte zu Hugh: »Es ist komisch. So eine Freundin habe ich seit Jahren nicht mehr gehabt.«

    Am Esstisch bei uns, wo sie so oft saß, sagte sie uns, sie wollte jetzt Margaret genannt werden, nicht mehr Marg. Marg, so wird sie von den meisten genannt, so nennen sie die anderen Lehrer. Sie unterrichtet Englisch und Sport an Hughs Schule, der Schule, deren Rektor Hugh ist. Marg Honecker, sagen sie, ist ein feines Mädchen, wenn man sie näher kennenlernt, Marg ist wirklich eine wunderbare Person, und man merkt an der Art, wie sie es sagen, dass sie nicht hübsch ist.
    » Marg ist so schlaksig, genau wie ich. Ich glaube, mit Margaret würde ich mich anmutiger fühlen«, sagte sie am Esstisch und überraschte mich mit der bescheidenen Hoffnung hinter dem drolligen Tonfall. Ich war besorgt um sie, wie ich es für eine Tochter gewesen wäre, und ich dachte danach immer daran, Margaret zu ihr zu sagen. Aber Hugh gab sich keine Mühe, er sagte weiter Marg.
    »Margaret hat recht hübsche Beine. Sie sollte kürzere Röcke tragen.«
    »Zu muskulös. Zu athletisch.«
    »Sie sollte sich die Haare wachsen lassen.«
    »Ihr wachsen Haare. Im Gesicht.«
    »Wie kannst du so was Gemeines sagen!«
    »Ich habe kein Urteil darüber abgegeben, ich habe eine Tatsache festgestellt.«
    Es ist eine Tatsache. Margaret wächst an den Wangen und an den Mundwinkeln ein weicher Flaum. Sie hat das Gesicht eines hellhäutigen, sommersprossigen zwölfjährigen Jungen. Wach, intelligent, auf zarte Art knochig, oft verlegen. Margaret hat etwas sehr Attraktives an sich, sagte ich oft, und Hugh erwiderte darauf, ja, sie ist genau der Typ Frau, über den andere Frauen immer sagen, sie hat etwas sehr Attraktives an sich. Und warum sagen sie das, fragte er. Weil sie keine Bedrohung ist.
    Keine Bedrohung.
    Warum ist es eine Überraschung, festzustellen, dass außer uns selbst auch andere Menschen dazu fähig sind, Lügen zu erzählen?

    Wir hatten die jungen Lehrer zu Gast. Junge Männer in Jeans, junge Frauen auch in Jeans oder in winzigen Lederröcken. Langhaarig, mit leisen Stimmen, passiv, aber kritisch. Die Lehrer haben sich verändert. Margaret trug ihr knielanges, rosarotes Wollkleid, saß auf einem Puff, für den ihre Beine zu lang waren, half mit dem Kaffee, sagte den ganzen Abend über keine zwanzig Worte. Ich hatte eines meiner langen Pfauenkleider an, ich bemühte mich darum, zu harmonieren. Ich war nicht darüber erhaben, mir zu meiner Anpassungsfähigkeit zu gratulieren, zu meinem Auf-der-Höhe-der-Zeit-Sein, ja, und zu meinem jugendlichen Stil. Ich produzierte mich vor jemandem. Vor Margaret? Vor Hugh? Woran Hugh wirklich Gefallen fand, das war Margaret, nachdem alle anderen gegangen waren.
    »Das Problem ist, ich weiß einfach nicht, ob ich bindungsfähig bin. Ich weiß nicht, ob ich Verbindung kriege zu all diesen zwischenmenschlichen Bindungen . Ich meine, manchmal denke ich, ich bin zu verkopft …«
    Ich lachte auch über sie, ich war stolz auf sie in der perversen Art von Eltern, die auf ein schüchternes Kind stolz sind, wenn es wichtigtuerische Gäste nachahmt, nachdem sie fort sind. Aber eigentlich wehte dieses frische

Weitere Kostenlose Bücher