Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
Lüftchen grenzenloser Skepsis zwischen Hugh und Margaret. Er liebte sie für ihren Witz, ihren Zynismus, ihre Täuschungsmanöver. Dinge, die mir heute durchaus nicht liebenswert vorkommen. Beide sind schüchtern, Hugh und Margaret, in Gesellschaft linkisch, leicht verlegen. Beide sind darunter kalt, das steht mal fest, kälter als wir Kontaktfreudigen mit unserem Charme und unseren Eroberungen. Sie geben nichts von sich selbst preis. Sie werden nie etwas eingestehen, nie über etwas reden müssen, nein, ich könnte ihnen die Haut aufkratzen, und es wären meine eigenen Finger, die bluten würden. Ich könnte sie anschreien, bis mir die Kehle platzt, und würde damit niemals etwas an ihrer Selbstbeherrschung ändern, an der Miene ihrer listigen, abgewandten Gesichter. Beide blond, beide leicht errötend, beide kalte Spötter.
    Sie haben für mich nur Verachtung übrig.
    Das ist natürlich Quatsch. Nichts für mich. Alles nur füreinander. Liebe .
    Ich komme von Besuchen bei Verwandten in verschiedenen Landesteilen zurück. Das sind Menschen, denen ich mich durch empfindliche, fast unaussprechliche Bande der Sympathie verbunden fühle und deren Tod ich fast ebenso fürchte wie meinen eigenen. Aber ich kann ihnen nichts erzählen, und sie können nichts für mich tun. Sie nahmen mich mit zum Angeln, führten mich zum Essen aus und auf hohe Gebäude wegen der Aussicht, was anderes konnten sie tun? Sie wollen nie schlechte Nachrichten von mir hören. Sie schätzen mich für meine Fröhlichkeit, mein gutes Aussehen und meinen bescheidenen, aber greifbaren Erfolg – ich habe einen Band mit Kurzgeschichten und einige Kinderbücher aus dem Französischen ins Englische übersetzt, sie können in Bibliotheken gehen und meinen Namen auf den Umschlägen finden –, und besonders die Älteren und Unglücklicheren unter ihnen finden, dass ich verpflichtet bin, ihnen diese Dinge zu bringen. Mein Erfolg und mein Glück gehören zu den wenigen Anzeichen, die ihnen dafür bleiben, dass das Leben nicht ganz und gar eine Rutschbahn in die Tiefe ist.
    So viel zu der Verwandtschaft und den Besuchen.
    Angenommen, ich komme nach Hause, und beide sind da, ich komme herein und finde sie im Bett vor, genau wie in den Liebe-Abby-Briefen in der Zeitung (über die ich nicht mehr lachen werde)? Ich gehe zum Schrank und hole meine restlichen Sachen heraus, ich fange an zu packen, ich rede diplomatisch zum Bett.
    »Möchtet ihr eine Tasse Kaffee, ihr müsst doch schrecklich müde sein?«
    Um sie zum Lachen zu bringen. Sie zum Lachen zu bringen, als streckten sie mir die Arme entgegen. Lüden mich ein, mich aufs Bett zu setzen.
    Andererseits, vielleicht gehe ich ins Schlafzimmer und greife mir ohne ein Wort zu sagen alles, was ich finden kann – eine Vase, eine Flasche Lotion, ein Bild an der Wand, Schuhe, Kleidungsstücke, Hughs Tonbandgerät –, und schleudere diese Dinge gegen das Bett, das Fenster, die Wände; dann reiße ich das Bettzeug weg und trete gegen die Matratze und schreie und schlage ihnen ins Gesicht und prügle auf ihre nackten Körper mit der Haarbürste ein. Wie es die Ehefrau in Gottes kleiner Acker tat, ein Buch, das ich Hugh auf einer langen, staubigen Autofahrt über die Prärien mit komischem Akzent vorlas.
    Vielleicht haben wir ihr das erzählt. Viele Anekdoten aus der Zeit vor unserer Hochzeit und sogar von unseren Flitterwochen haben wir ihr präsentiert. Und damit angegeben. Jedenfalls ich. Was Hugh tat, vermag ich nicht zu sagen.
    Ein Schrei kommt heraus, aus mir, überraschender Protest.
    Ich lege den Arm auf meinen offenen Mund, und um den Schmerz zu verdrängen, beiße ich hinein, ich beiße in meinen Arm, und dann stehe ich auf, klappe das kleine Waschbecken aus und wasche mir das Gesicht, ich lege Rouge auf, kämme mir die Haare, glätte meine Augenbrauen und gehe hinaus.
    Die Waggons im Zug sind nach Entdeckern oder Bergen oder Seen benannt. Als die Kinder klein und Hugh und ich arm waren, bin ich oft mit dem Zug gefahren, weil Kinder unter sechs Jahren umsonst mitfahren durften. Ich erinnere mich an die Namen, die an den schweren Türen standen, und wie ich die Türen aufstoßen und aufhalten und die unsicher taumelnden Kinder hindurchscheuchen musste. Ich hatte immer ein wenig Angst zwischen den Waggons, als könnten die Kinder irgendwie hinausfallen, obwohl ich wusste, das war unmöglich. Nachts musste ich dicht neben ihnen schlafen, und tagsüber saß ich da, und sie krabbelten um mich herum; mein

Weitere Kostenlose Bücher