Was ich dir schon immer sagen wollte
Töchter sind verheiratet und fort«, sagte mein Großmutter und wischte sich die Augen und die Nase mit einem frischen Taschentuch aus ihrem Ärmel, fasste sich etwas, hörte aber nicht auf, mich zornig anzuschauen. »Die arme Susan musste allein raus, um die Kühe zu melken. Sie wollte ja unbedingt ihre Kühe behalten und allein weitermachen. Gestern Abend ist sie rausgegangen, und sie hätte die Wäscheleine an der Haustür festbinden müssen, hat es aber nicht getan, und auf dem Rückweg hat sie sich verlaufen, und heute Mittag haben sie sie gefunden.«
»Alex Beattie hat uns angerufen«, sagte Tante Madge. »Er war einer von denen, die sie gefunden haben. Er war völlig fertig.«
»War sie tot?«, fragte ich dümmlich.
»Man kann dich nicht wieder zum Leben auftauen«, sagte meine Großmutter, »nachdem du bei diesem Wetter die ganze Nacht lang in einer Schneewehe gelegen hast.« Sie hatte aufgehört zu weinen.
»Und stell dir die arme Susie vor, die nur versucht hat, vom Stall ins Haus zu finden«, sagte Tante Madge. »Sie hätte nicht an den Kühen festhalten dürfen. Sie dachte, sie schafft das. Dabei hatte sie das schlimme Bein. Das hat sie bestimmt im Stich gelassen.«
»Wie schrecklich«, sagte ich. »Ich gehe nicht nach Hause.«
»Du gehst, wenn du willst«, sagte meine Großmutter sofort.
»Nein. Ich bleibe.«
»Man weiß nie, was einem alles passieren kann«, sagte Tante Madge. Sie weinte auch, aber ungezwungener als meine Großmutter. Bei ihr war es nur ein tröstendes bisschen Feuchtigkeit um die Augen, das ihr gutzutun schien. »Wer hätte gedacht, dass Susie mal so endet, sie war eher in meinem Alter als in dem deiner Großmutter, und wie hat sie sich fürs Tanzen begeistert, sie hat immer gesagt, für einen schönen Tanzabend würde sie zwanzig Meilen weit in einem offenen Schlitten fahren. Wir haben mal die Kleider getauscht, nur so zum Spaß. Wenn wir damals gewusst hätten, was jetzt passiert ist!«
»Niemand weiß das. Was würde das nützen?«, sagte meine Großmutter.
Ich langte beim Abendessen kräftig zu. Von Susie Heferman war nicht mehr die Rede.
Ich verstehe jetzt verschiedene Dinge, auch wenn das niemandem groß nützt. Ich verstehe jetzt, dass Tante Madge Mitgefühl für meine Mutter aufbringen konnte, denn Tante Madge musste meine Mutter sogar schon vor ihrer Krankheit für eine mit Leid geschlagene Person gehalten haben. Alles, was außergewöhnlich war, hielt sie schlicht für ein Leiden. Aber meine Großmutter musste sie für ein warnendes Beispiel gehalten haben. Meine Großmutter hatte sich gezügelt, auf sich aufgepasst, hatte gelernt, was man zu tun und zu sagen hatte; sie hatte begriffen, wie wichtig allgemeine Anerkennung ist, hatte sich nach ihr gesehnt, hatte sie erlangt, und wusste, dass durchaus die Möglichkeit bestand, sie nicht zu erlangen. Tante Madge wusste das nie. Meine Großmutter mochte sich von meiner Mutter bedroht fühlen, mochte vielleicht sogar – auf einer Ebene, die sie immer hätte abstreiten müssen – jene Anstrengungen meiner Mutter verstanden haben, die sie so erfolgreich und nie ganz offen ins Lächerliche zog und tadelte.
Ich verstehe, dass meine Großmutter zornig um Susie Heferman weinte und auch um sich selbst, dass sie wusste, wie sehr ich mich nach Hause sehnte und warum. Sie wusste es und verstand nicht, wie es dazu kommen konnte oder wie es anders hätte sein können oder wie sie selbst, einst so ratlos rudernd, zu einer weiteren alten Frau geworden war, getäuscht und beschwichtigt von den Jüngeren, die es eilig hatten, von ihr fortzukommen.
Gedenken
Eileen wachte am helllichten Tag auf und sah June mit einem Tablett neben dem Bett stehen. Auf dem Tablett waren ein Becher mit Kaffee, Sahne, Zucker und selbstgebackener Vollkorntoast.
»Oh Gott. Genau das wollte ich für dich tun.«
»Was denn?«
»Dir Kaffee ans Bett bringen. Ich war schon früh wach. Ich habe nur gewartet. Ich habe darauf gewartet, dass es ein bisschen heller wird.«
Eileen sagte nicht, dass sie die ganze Nacht lang wach gelegen hatte oder fast die ganze Nacht lang, ständig mit dem Gedanken daran, wie gut die Matratze war, wie glatt die Betttücher und welch ein unwillkommener Fremdkörper sie selbst darin war.
»Wie kannst du ohne Uhr leben?«, fragte June und setzte das Tablett ab. »Bloß gut, dass du nicht aufgestanden bist und irgendwas probiert hast. Du wärst mit der Kaffeemühle nicht zurande gekommen.«
Das hatte Eileen vergessen. Sie
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