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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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man einen Geschirrspüler bedient.
    Sie hatte die Krusten ihres Toasts übriggelassen, aber jetzt aß sie sie auf, denn es war zu schwierig, herauszubringen, in welchen Müll sie gehörten. Sie würde mindestens einen Tag brauchen, bis sie sich hier auskannte. Sie hatte gestern Abend erfahren, dass es ein neues und kompliziertes System der Mülltrennung gab, das mit dem Recycling zu tun hatte. »Das werde ich mir auch angewöhnen müssen«, hatte Eileen gesagt, worauf June fragte: »Was, du trennst noch nicht?«
    Im Vergleich zu June lebte sie verantwortungslos. Eileen musste das einsehen, musste es zugeben. Ihren trägen Umgang mit allem Müll in einem Behälter, ihre Schränke, die unter der ordentlichen Oberfläche vor Chaos platzten. Einmal hatte sie mit June eine Auseinandersetzung wegen brauner Papiertüten. Wenn Eileen diese Einkaufstüten aufhob, dann stopfte sie sie in eine Schublade. June faltete und glättete sie, bis sie flach waren, so dass wesentlich mehr davon in eine Schublade passten und sich leichter entnehmen ließen. Beide Schwestern lachten wütend.
    »Ich meine, es ist leichter«, sagte June. »Wirklich leichter. Am Ende sparst du sogar Zeit.«
    »Du bist zwanghaft«, sagte Eileen, die, wenn sie sich keinen anderen Rat mehr wusste, Junes eigenen Sprachgebrauch gegen sie zu wenden versuchte, durch schnodderige und arrogante Benutzung. »Ordnung ist eine anale Störung. Du erstaunst mich.«
    Aber sie gab sich Mühe. In Junes Küche versuchte sie ununterbrochen, sich die Ordnung einzuprägen, die immer logischen, wenn auch unerwarteten Einteilungen. Sie machte ständig Fehler. Wenn Ewart einen ihrer Fehler, etwas am falschen Platz, entdeckte, tippte er sie mit entschuldigendem und verständnisinnigem Ausdruck auf den Arm, ohne Worte, und packte, was es nun auch war, mit verstohlenem Schwung dahin, wo es hingehörte. Durch diese Pantomime, diese Freundlichkeit und Besorgtheit ihr gegenüber verstand Eileen, wie weit das alles von einem Scherz entfernt war, wie tief und ehrlich Junes Empörung sein musste. Im Haus von June und Ewart spürte sie ständig die Last der Welt der Dinge, ihre strengen Forderungen, die Unterschiede, über die sie sich hinweggesetzt hatte. Es gab hier moralische Grundsätze für das Kaufen und Benutzen, für das Konsumverhalten. Eileen hatte nie Geld gehabt, also konnte sie es sich leisten, verschwenderisch, schlampig und nachsichtig zu sein. June und Ewart, die sehr viel Geld hatten, kauften und benutzten jeden Gegenstand mit einem Sinn für Verantwortung, einer Verantwortung nicht nur sich selbst gegenüber, die besten, leistungsstärksten, haltbarsten und unverfälschtesten Dinge zu besitzen, die zu haben waren, sondern eine, wie sie gesagt hätten, gegenüber der Gesellschaft. Leute, die den Verbraucherbericht nicht lasen, standen für sie wahrscheinlich auf derselben Stufe wie Leute, die nicht zur Wahl gingen.
    Die Dinge, mit deren Kauf sie die meisten Probleme hatten, waren solche, die keinem Zweck dienen, aber in jedem Haus notwendig sind – Bilder, Zierrat. Sie hatten das Problem schließlich gelöst durch die Wahl von Eskimo-Drucken und -Schnitzereien, indianischen Wandbehängen, Aschbechern und Schalen und einigen grauen, porös aussehenden Gefäßen, angefertigt von einem ehemaligen Sträfling, der jetzt von der Unitarischen Kirche als Töpfer gefördert wurde. Alle diese Dinge hatten den Vorteil, von moralischem Wert zu sein, außerdem waren sie als Schmuck annehmbar. Zwei Kwakiutl-Masken – grob stilisierte Drohung, tote Wildheit – hingen an der Wand über dem Kamin und fanden viel Bewunderung. Was haben solche Dinge in einem Wohnzimmer zu suchen, wollte Eileen fragen. Sie entdeckte in diesen Tagen an sich selbst eine unattraktive Überempfindlichkeit gegenüber einigen Dingen, gegenüber Kleidung zum Beispiel und Zierrat. Einen Wunsch, Betrug zu vermeiden, ernste Dinge nicht für triviale Zwecke zu missbrauchen, Dinge nicht zu missachten, indem man sie zur Mode machte. Ein illusorischer Wunsch. Sie selbst verstieß dagegen. Und Ewart und June hatten nicht vor, etwas zu missachten, sie waren ehrliche Bewunderer indianischer Kunst, sie sagten: »Ist das nicht furios? Ist das nicht phantastisch?« In Eileens eigenem Wohnzimmer befanden sich einige verschwommene Aquarelle von Blumen, auch eine zufällige Ansammlung von gebrauchten Möbeln, und wer wollte sagen, ob diese Ärmlichkeit, diese Vermeidung von Stil auf ihre Art nicht ein genauso schlimmer

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