Was im Dunkeln liegt
einige Einträge, die von einem Geistlichen signiert waren, dessen Name ihr vorher noch nie begegnet war – ein gewisser R. W. Wilkins-Staunton. In der Folge entdeckte Maisy ein altes Kirchenheft, in dem auf die Tatsache Bezug genommen wurde, dass Reverend Wilkins-Stauntons Berufung ihn durch die ganze Welt geführt hatte – zu einem
Lehrposten in Nova Scotia und von dort zu einer Kirche in Massachusetts.
Fasziniert von dem weltreisenden Geistlichen, sandte Maisy einige Anfragen an einen freundlichen Bibliothekar in Boston, der ihr in einem Brief mit schockierenden Informationen antwortete. Roger Webb Wilkins-Staunton war in den USA wegen Mordes an einer Frau aus seiner Gemeinde im Jahre 1931 hingerichtet worden. Der Mord wies etliche Parallelen zu dem Agnes-Payne-Fall auf, bis hin zu der Mitgliedschaft des Opfers an Wilkins-Stauntons Bibelgruppe und der Verwendung eines teuren Seidenschals. Lange Zeit glaubte man, man werde nie erfahren, wer Agnes Payne ermordet hatte – doch Maisy Gregson ist überzeugt, die Antwort gefunden zu haben.
Am Ende des Kapitels stand der Hinweis: siehe Abbildung VIII., und so blätterte ich folgsam durch die glänzenden mittleren Seiten, in der Erwartung, ein Foto von Maisy Gregson zu finden. Der Text unter Abbildung VIII. identifizierte die Frau auf dem Foto jedoch als Agnes Payne. Es war eine ziemlich körnige Kopie einer alten Fotografie, die eine unscheinbare Frau in einer strengen Stehkragenbluse zeigte. Obwohl Agnes einen Hut aufhatte, war ihr helles Haar zu erkennen. Sie sah ganz und gar nicht wie Trudie aus.
Mit einem merkwürdigen Gefühl der Enttäuschung schloss ich das Buch. Im Zimmer war es völlig still, dennoch kam es mir vor, als würden Trudie und Agnes mir beide etwas zurufen und versuchen, mir mitzuteilen, was ich übersehen hatte.
Ich ließ Buch und Füller auf dem Bett liegen, während ich einen letzten Rundgang durch das Zimmer machte.
Die Entdeckung des Füllers machte mich so nervös, dass ich noch einmal alle Schubläden herauszog, hinter der Kommode und der Truhe nachsah, sogar die Oberseite des Schranks überprüfte und dabei an dem Staub, den ich aufwirbelte, fast erstickte; doch ich machte keine weiteren Entdeckungen.
Als ich endlich beruhigt war, ging ich mit dem Buch und dem Füller in mein Zimmer hinüber. Ich holte das Geld aus dem hinteren Bucheinband, steckte zwanzig Pfund in meine Geldbörse und den Rest in die Innenseite meines Anoraks, der seit meiner Ankunft ungetragen im Schrank gehangen hatte. Dann sammelte ich meine Sachen zusammen, stapelte sie auf dem Bett, damit ich sie binnen Minuten in meinen Rucksack packen könnte.
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass Trudies Büchereibuch irgendeinen Hinweis für mich enthielt, doch meine Vernunft sagte mir, das Buch beweise nur, wie unsinnig und weit hergeholt Trudies Ideen gewesen seien. Die ermordete Agnes war eindeutig nicht mit Trudie in Kontakt getreten. Wozu auch? Ihr Geheimnis war von dieser Maisy Dingsda enthüllt worden. Darüber hinaus war ihr zu guter Letzt auf heftigste Weise Gerechtigkeit widerfahren: Der mörderische Pfarrer war für seine Taten hingerichtet worden.
Ich legte das Buch zur Seite, um es später mit hinunterzunehmen, war mir jedoch unschlüssig wegen des Füllers. Er würde sich nur sehr schwer vernichten lassen, aber Wegwerfen wäre zu gefährlich. Nicht viele Menschen hatten vier Initialen. Vielleicht hatte außer Trudie niemand diese besondere Kombination. Die beiden Jungs würden bestimmt auch keine sichere Lösung finden, also beschloss
ich, den Fund für mich zu behalten, und steckte den Füller in meinen Anorak zu Trudies Geld.
Die Diele war so düster, dass ich das Licht anknipste, als ich die Treppe hinunterging. Doch das verstärkte nur noch das Gefühl von Depression, das über dem Haus hing, beleuchtete die Fetzen eines von der Decke herunterhängenden Spinnennetzes und enthüllte die Staubschicht, die über allem lag. Es kam mir vor, als würde das Haus selbst Staub produzieren: über Nacht die abgestandene Luft einatmen, um sie am folgenden Morgen als Staub auszuatmen, sodass jegliches Bemühen, jemals damit fertigzuwerden, von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Aus irgendeinem Grund erinnerte mich das an den Wasserschlauch, der langsam den Teich füllte. Doch dieser Gedanke an den Teich aktivierte sofort eine Flut von Assoziationen, die ich die ganze Zeit zu vermeiden versucht hatte. Ich hielt das nicht länger aus. Ich musste
Weitere Kostenlose Bücher