Was im Dunkeln liegt
das Feuer durch die verschiedenen Materialien fraß. Manche Dinge brannten langsam, erzeugten dicken schwarzen Rauch, drohten die Flammen wie eine Feuerlöschdecke zu ersticken; andere sprühten Funken und flackerten hell
auf, während einige Oberteile einfach schmolzen, wegschrumpften wie irgendetwas Grauenvolles in einem Horrorfilm. Das Ganze schien endlos lang zu dauern – doch ich musste ausharren, um absolute Gewissheit zu haben.
Beide Taschen erwiesen sich als störrisch. Simon musste sie mehrfach mit einem schwarzen langen Schürhaken traktieren, den er ein paar Schritte weiter neben einer alten Feuerstelle entdeckt hatte. Erst als alles zu Asche und verkohlten Klumpen heruntergebrannt war, verließ ich Simon, der das Feuer weiterhin mit Laub und dürren Ästen nährte – das eigentliche Ziel der Übung schien er vergessen zu haben, die Erhaltung des Feuers war zum Selbstzweck geworden.
Bevor ich meine Putzarbeiten in Trudies Zimmer wieder aufnahm, schleuderte ich die Wäsche und nahm sie dann aus der Maschine. Laken und Bezüge hängte ich zum Trocknen nach draußen, ungeachtet des in der Nähe aufsteigenden Rauchs von Simons Feuer. Dann holte ich eine frische Garnitur aus dem Wäscheschrank und bezog das Bett neu. Als ich zu guter Letzt das Federbett noch einmal aufschüttelte, stieß ich aus Versehen das Büchereibuch vom Fensterbrett. Es landete mit einem dumpfen Knall auf dem Teppich und blieb aufgeklappt beim Kapitel mit der Überschrift Der Mord an Agnes Payne liegen.
30
Die Schwester kommt von Zeit zu Zeit zurück, um kurz nach Mrs Ivanisovic zu sehen. Bei einem dieser Besuche schaltet sie die Nachttischlampe an und zieht die Vorhänge zu, erzeugt damit sogleich eine behagliche und einlullende Atmosphäre. Bilder von Gutenachtgeschichten und Bechern mit heißem Kakao schleichen sich ungebeten in meine Gedanken.
»Sie ist so friedlich, nicht wahr?« Mit wohlwollendem Lächeln bewegt sich Fettsteiß durch das Zimmer; erstaunlich leichtfüßig für jemand mit ihrem Gewicht.
Auf diese Weise würden wir alle gern verscheiden, denke ich; in gestärkter Bettwäsche und einem frischen Nachthemd – vergesst all das Aufbegehren gegen das Ersterben des Lichts, gebt mir einfach nur ein bequemes Bett und genügend Schmerzmittel.
Der Lampenschirm hat ein Muster aus Gänseblümchen – das fällt mir erst auf, als die Lampe eingeschaltet ist. Lead kindly light, amid th’encircling gloom. The night is dark and I am far from home – Führe mich, freundliches Licht, durch die aufsteigende Dunkelheit. Die Nacht ist finster und ich bin fern von zu Haus – ist das nicht eine geeignete Hymne? To rest forever after earthly strife, In the calm light of everlasting life – Um nach der irdischen Unrast
für immer zu ruhen, im stillen Lichte der Ewigkeit. Obwohl meine Generation Mrs Ivanisovic wohl eher Led Zeppelins Stairway to Heaven, die Himmelstreppe, erklimmen lassen würde.
Fettsteiß verschwindet auf Zehenspitzen, schließt die Tür hinter sich mit einem kaum hörbaren Klicken. In diesem Moment öffnet Mrs Ivanisovic die Augen und bemüht sich, ihren Blick zu fokussieren. Sie sagt etwas, aber ihre Stimme ist schwach und heiser, und die Worte werden von der Sauerstoffmaske verschluckt.
»Ich bin es, Katy«, sage ich. »Ich bin immer noch hier.«
»Katy.« Es klingt sehr gedämpft, aber sie hat mich eindeutig verstanden. Ihr Blick geht über mich hinweg, sucht nach irgendetwas (oder irgendjemand?) hinter meiner rechten Schulter. Ich zwinge mich eisern, mich nicht umzudrehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass da niemals jemand ist. Nur die Folgen unserer eigenen Handlungen können uns heimsuchen.
Mrs I. sucht mit den Augen die unmittelbare Umgebung ab, bis ihr Blick beim Nachttisch hängen bleibt. »Das Kreuz? Wollen Sie das Kruzifix haben?«
Ich ergreife das abgewetzte braune Schmucketui und öffne es, überreiche ihr Kreuz und Kette so ehrerbietig, als wäre es eine heilige Reliquie. Sie nimmt es auf die gleiche Art in Empfang: hält es eine Weile in der geschlossenen Hand und bedeutet mir dann, es wieder zurückzunehmen. Als ich die Hand danach ausstrecke, legt sie das Kreuz mit der Kette vorsichtig auf meine Handfläche, schließt danach meine Finger darum. Ihre Absicht ist klar. Sie übergibt es meiner Obhut. Die Zeit steht still, während sie ihren schwachen Griff um meine Hand beibehält, in deren Innerem ich das kühle Gewicht des Schatzes
fühle, den sie mir
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