Was im Dunkeln liegt
zu schonen, als um meine Geschwister vor moralischer Verseuchung zu bewahren – vor allem meine jüngere Schwester. Es war das heikle Thema, das permanent im Raum stand, aber gewohnheitsmäßig umgangen wurde.
Meine Eltern bezahlten meine sechsmonatige Unterbringung in einem großen alten Haus in Shropshire, wo es beinahe eine Art Erleichterung war, meine Schwangerschaft in anonymer Umgebung durchzustehen. Ich teilte mir das Zimmer mit der kettenrauchenden Sharon und der dicken Deirdre, beide Frauen wie Klischeefiguren aus einem Fernsehdrama.
Heutzutage besteht die Adoptionsgeschichte früherer Zeiten aus einer heulenden Teenagermutter, der ihr Baby von einer strenggesichtigen Nonne entrissen wird, doch in meiner Geschichte kamen keine Nonnen vor. Keine Nonnen, keine Priester, keine Gebete, keine Engel. Nur Dämonen, die nachts kamen, um mir etwas ins Ohr zu flüstern; boshafte Andeutungen über das Kind, das ich in mir trug.
Er war ein sehr ruhiges Baby. Er lag in meinen Armen und versuchte, den Blick auf mein Gesicht zu fokussieren, beinahe so, als verstünde er, dass er es sich einprägen musste, solange er dazu noch Gelegenheit hatte. Ich wusste, unsere Beziehung wäre niemals lebbar gewesen – welch schrecklichen Einfluss würde es auf jemanden haben zu entdecken, dass er der Sohn eines Mörderpaares ist?
Hilly gehört zu den wenigen Menschen, denen ich je etwas über das Baby erzählt habe. Sie reagierte mit einem typischen Hilly-Spruch. »Du hast ihm das Leben geschenkt«, sagte sie. »Und seine Adoptiveltern werden ihm
Liebe geben, und er wird ihnen Glück bereiten, was sie sonst vielleicht nie erlebt hätten – es ist ein doppeltes Geschenk, wirklich.«
Ich wünschte, ich könnte ihre Zuversicht teilen. Ich dachte oft an ihn, fragte mich, wie es ihm wohl gehen mochte. Ich wünschte, er könnte verstehen, dass Ablehnung manchmal eine Gefälligkeit ist, keine Grausamkeit. Ich wünschte, er könnte verstehen, dass es zu seinem Besten geschah.
Dann sah ich ihn eines Tages auf dem Schulhof. Nicht zum ersten Mal hatte ich das verstörende Gefühl, ich könnte gerade, ohne es zu wissen, mein eigenes Kind betrachten – aber diesmal war es mehr. Dieser kleine Junge, acht Jahre alt und neu in die Gegend gezogen, hatte die Mayfield-Nase und das Mayfield-Kinn. Er ähnelte meinem Bruder Edward in dem Alter – und sah zum Glück kein bisschen aus wie Danny. Er war nicht meiner Klasse zugewiesen worden, aber das Namensverzeichnis war mühelos erhältlich, und darin stand sein Geburtsdatum: 1. Mai 1973. Seine Schulakte beseitigte jeden noch verbliebenen Zweifel – es stand eine Notiz von den Eltern darin, die bestätigte, dass er gleich nach seiner Geburt adoptiert worden war.
Von allen Schulen der Welt ist er ausgerechnet in meine gekommen.
Als er auf die weiterführende Schule überwechselte, begann ich damit, das Haus zu beobachten. Es fing mit einem einzelnen neugierigen Besuch an, der sich nach und nach zu einer Gewohnheit entwickelte. Das Wissen um seine Lebensumstände linderte meine Besorgnis darüber, in welcher Familie er aufwachsen mochte; doch die unerwartete räumliche Nähe vergrößerte gleichzeitig meine
Angst um ihn. Er schien ein glückliches, gesundes Kind zu sein. Er war intelligent, beliebt, gut eingegliedert. Doch das Gesetz, das einst meine Anonymität garantiert hatte, wurde geändert, noch während er ein Kind war. Ich wusste, mit Beginn seines achtzehnten Lebensjahres hätte er das Recht, seine Akte einzusehen – und seine Geburtsurkunde anzufordern. Mayfield ist kein verbreiteter Name. Er würde sich bestimmt daran erinnern, dass in seiner Grundschule eine Miss Mayfield unterrichtet hatte. Als Vorsichtsmaßnahme ließ ich meine Nummer aus dem Telefonbuch streichen, doch ich wusste, wenn er es wirklich wollte, könnte er mich relativ rasch ausfindig machen.
Ich fürchte nicht die Folgen, die diese Entdeckung für mich haben könnte – das Eingeständnis, man habe einst ein uneheliches Kind geboren, ist heutzutage kein Skandal mehr. Wenn überhaupt, so gilt das jetzt eher als etwas Heroisches. Unserem Zeitgeist entsprechend, hat sich die unverheiratete Mutter vergangener Zeiten in die Ränge der Opfer eingereiht. Nein, meine größte Angst war, es würde ihm, sobald er nachzuforschen begänne, nicht genügen, nur den Namen seiner Mutter zu erfahren. Auf seiner Geburtsurkunde war die Stelle für den Namen des Vaters leer geblieben, doch wenn er
Weitere Kostenlose Bücher