Was im Dunkeln liegt
Schreibtisch selbst vor. Auf meinem Staubtuch bildete sich eine Schicht bleicher Staubflocken, die ich auf den Teppich schüttelte, da ich nicht wusste, was ich sonst damit tun sollte. Anschließend wandte ich meine Aufmerksamkeit einem kleinen Bücherregal zu, das unter dem Fenster stand. Die Bücher hatten verblichene braune, blaue und
schwarze Buchrücken mit goldgeprägten Titeln. Wahllos zog ich eines heraus und schlug es auf – winzige schwarze Buchstaben auf steifem Papier, vergilbt zu einem edlen Farbton, der an Milchkaffee erinnerte; da und dort waren Flecken in einem dunkleren Braun, als hätten sich manche Kaffeekörnchen nicht richtig aufgelöst. Jemand hatte auf das Deckblatt mit schwarzer Tinte Für meine Enkeltochter Emily von Tante Grace geschrieben. Ich stellte das Buch wieder zurück neben Reisen durch Persien und Kurdistan und arbeitete mich weiter nach unten, indem ich flüchtig über die Bücher in den beiden oberen Regalreihen wischte und mich dann auf den rot-schwarzen Teppich kniete, um besser an die unterste Reihe zu gelangen.
In der unteren Regalreihe lag ein Stapel Zeitschriften, nur unerheblich jünger als ihre gebundenen Gefährten, und die oberste war aufgeschlagen, als hätte jemand darin gelesen und es nicht geschafft, die Lektüre zu beenden, bevor die Zeitschrift weggeräumt wurde. Der erste Artikel trug die Überschrift Ein faszinierendes örtliches Geheimnis , und als ich die Zeitschrift herauszog, um einen besseren Blick darauf zu haben, sah ich, dass das dazugehörige Foto mit Die örtliche Sehenswürdigkeit Bettis Wood überschrieben war.
Das Staubtuch in meiner Hand vergessend, setzte ich mich hin und las.
Ludlow Castle hat seine Weiße Frau, und von Hergest Hall erzählt man sich, es werde von Black Vaughans Geist heimgesucht, aber wie viele Leute wissen, dass auch Bettis Wood einen eigenen Geist hat? Seit Agnes Payne in einer heißen Sommernacht im Jahre 1912 im Wald ermordet wurde, wird regelmäßig von dort auftretenden merkwürdigen Erscheinungen
und Geräuschen berichtet, und die Einheimischen meiden den Wald nach Einbruch der Dunkelheit.
Agnes Payne wohnte mit ihrem Gatten Tom und ihren drei kleinen Kindern in einem etwa eine Meile vom Wald entfernten Cottage. Tom war der örtliche Schreiner und stand im Ruf eines Frauenhelden. In jenem Jahr hatte er den ganzen Sommer über für eine wohlhabende Witwe namens Martha Stokesby gearbeitet, und will man dem Dorfklatsch glauben, so waren er und Mrs Stokesby mehr als nur gute Freunde geworden.
Am Abend des 13. August beendete Tom die Arbeit an Mrs Stokesbys Haus etwas später als üblich und kehrte auf dem Heimweg ins Gasthaus zu einem Glas Bier ein. Später an diesem Abend beobachtete eine Nachbarin, wie Agnes das Cottage verließ. Es war nicht das erste Mal, dass sie allein zu einem nächtlichen Spaziergang aufbrach, aber es sollte das letzte Mal sein.
Laut Tom Paynes Aussage fand er bei der Ankunft zu Hause seine Kinder schlafend vor, doch seine Gattin war unerklärlicherweise fort. Er ging ein Stück die Straße hinunter, kehrte jedoch, als er sie nicht fand, ins Cottage zurück. Beim ersten Morgengrauen weckte er seine nächsten Nachbarn und durchkämmte mit ihnen die Gegend. Agnes wurde in Bettis Wood gefunden, erdrosselt mit einem Seidenschal. Payne sagte aus, der Schal habe seiner Frau nicht gehört, und seine Herkunft wurde nie aufgeklärt.
Tom Payne war der Hauptverdächtige und hatte kein Alibi vorzuweisen – doch dann tauchte ein neuer Zeuge auf, ein Hausierer namens Joel Rimey, der in der Mordnacht am Waldrand kampiert hatte. Rimey sagte aus, er habe eine Frau in Gesellschaft eines Mannes beobachtet, den er auch beschreiben könne. Die beiden seien auf einem Fußweg in den
Wald gegangen, an einer Stelle unweit jener, wo man Agnes gefunden hatte. Seine Beschreibung der Frau traf genau auf Agnes zu, bis hin zu ihrem paisleygemusterten Schultertuch; doch der Mann, den er beschrieb – ein bärtiger Mann mit dunklem Mantel und Hut –, hatte nichts mit Tom Payne gemein, der glatt rasiert war.
Es kam nie zu einer Festnahme, und das Geheimnis bleibt bis heute ungelöst, aber manchmal, spätnachts …
»Was hast du da?«, fragte Trudie.
Ich stieß einen kleinen Schrei aus. »Gott, hast du mich erschreckt. Ich lese gerade diese Zeitschrift, die ich gefunden habe. Es geht um den Wald da hinten. Dort soll es spuken.«
»Wow!«, rief Trudie. »Zeig mal her.«
Ich überflog den letzten
Weitere Kostenlose Bücher