Was im Dunkeln liegt
Diese Theorie geriet freilich ins Wanken, als sie auch am Montagnachmittag nicht auftauchte, und am Dienstagabend war jemand besorgt genug, um bei ihren Eltern anzurufen – die sagten, Rachel sei überhaupt nicht da gewesen. Nun wurde der Sicherheitsdienst informiert. Als man Rachels Tür mit dem Hauptschlüssel öffnete, fand man sie auf dem Bett liegend vor, noch immer in derselben Kleidung, in der man sie am vergangenen Freitag gesehen hatte. Sie war erwürgt worden.
Ihr Zimmerfenster, das nur ein Stockwerk hoch lag, stand offen. Es befand sich in einem Gebäudetrakt unmittelbar über einem Flachdach – ein leichter Zugangs- und Fluchtweg für ihren Mörder; wenngleich er genauso gut über den Flur hätte verschwinden können. Die Türen hatten Yale-Schlösser, die zufielen, wenn man keinen Keil dazwischenschob.
In der letzten Zeit hatte es Meldungen über eine verdächtige Person gegeben, die sich auf dem Campus herumtrieb. Ein Mädchen gab an, ein schemenhaftes Gesicht am Fenster gesehen zu haben, als sie unter der Dusche stand; jemand anders hatte spätabends einen Typ gesehen, der bei den geparkten Autos herumlungerte. Während des restlichen Jahres patrouillierten männliche Studenten nachts über das Gelände, entdeckten aber nichts Auffälliges. Die Polizei verhörte Dutzende möglicher Verdächtiger
und Zeugen, doch die Ermittlungen schienen ins Leere zu laufen. Die ganze Fakultät war in heller Aufregung, und natürlich erhielt Danny den verdammten Timmins-Preis, den er, wie Simon hervorhob, wahrscheinlich ohnehin gewonnen hätte. Doch Rachel Hewitts Tod verlieh der ganzen Angelegenheit einen bitteren Beigeschmack und ließ jegliche Art von Feier als unangemessen erscheinen. Für meine Eltern war diese Geschichte die Bestätigung für ihren weisen Entschluss, darauf zu beharren, dass ich zu Hause in Birmingham studiere. Zu den Gefahren der laschen Moral in Studentenwohnheimen konnten nun auch die Gefahren der laschen Sicherheitsvorkehrungen hinzugefügt werden. Sie hatten immer Angst gehabt, ihre Katy könnte, behielte man sie nicht scharf im Auge, in irgendwelche Schwierigkeiten geraten.
Danny und Simon verloren bald das Interesse an der Geschichte von Agnes Payne, und keiner von beiden erwähnte Rachel Hewitt – es gab auch wirklich keinen Grund, weshalb sie das tun sollten. Sobald sie ihren Tee getrunken hatten, nahmen sie ihre Grabungsarbeiten wieder auf, und keiner wollte der Erste sein, der zugab, dass er genug für heute hatte oder dass die Arbeit anstrengender war als ursprünglich gedacht. Doch als ich später am Nachmittag zu ihnen hinausging, um ihnen mitzuteilen, dass das Essen gleich fertig sei, streckte Simon Danny seine mit Blasen übersäten Handflächen und die abgebrochenen Fingernägel entgegen.
»Herrgott«, sagte Danny, »sei doch nicht so ein Mädchen.«
Beide lachten, aber ich sah Simon an, dass er sich in Wahrheit über seine zerschundenen Hände ärgerte.
»Los, kommt«, sagte ich. »Hört mit dem Rumgeblödel
auf. Das Mahl ist angerichtet.« Das Wort »Mahl« war ein Kompromiss, weil ich wusste, dass Simon es Dinner nannte, wohingegen es für mich einfach ein warmes Abendessen war.
»Wir kommen gleich«, sagte Danny. »Aber du siehst auch zum Anbeißen aus.« Mit einer kräftigen Bewegung zog er mich an sich, fing an, an meinem Hals zu knabbern, und kitzelte mich, während ich kreischte und erfolglos versuchte, mich aus seiner Umarmung zu befreien.
An diesem Abend saßen wir im Garten, bis es stockfinster war. Danny spielte auf der Gitarre, und wir sangen: manchmal alle zusammen, manchmal nur er allein.
»Du hast eine irre Stimme«, sagte Trudie zu ihm. »Und du siehst gut aus. Ich wette, du könntest Popstar werden. Simon, meinst du nicht, dass Danny sich bei Tops of the Pops toll machen würde?«
Simon gab keine Antwort, weil er gerade eine Spinne vertrieb, die Interesse an seiner Bierdose bekundete.
»Mach weiter«, drängte Trudie. »Sing noch etwas.«
»Sollen wir die Mädels mit Bridge over Troubled Water beglücken, Si?«, schlug Danny vor.
Ob sie nun Simon and Garfunkel oder das Komikerpaar Morecambe und Wise nachahmten, sie waren ein perfekt aufeinander eingespieltes Duo. Sie kannten sich schon sehr lange – eine enge Freundschaft mit ihren eigenen privaten Witzen, was unvermeidlich zur Folge hatte, dass sie oft auf Menschen oder Ereignisse Bezug nahmen, von denen ich noch nie gehört hatte. Ich versuchte verzweifelt, mich nicht
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