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Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Janes
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derart wichtige persönliche Dinge eher seinen Eltern als mir anzuvertrauen. Immer hatte ich mir eingeredet, ich würde Danny besser kennen als er sich selbst. Ich war auf dem Kamm einer Welle gesurft, doch Mrs Ivanisovic hatte mich abrupt auf
dem Kiesstrand auflaufen lassen. Als ich beobachtete, wie die beiden sich zum Abschied umarmten, fühlte ich mich völlig ausgeschlossen  –  eine verwirrte Außenstehende, die ihr unverständlichen Stammesritualen beiwohnt –, von einer Sekunde zur anderen von der zentralen Person in Dannys Leben zu einer Randfigur degradiert. Schließlich stieg sie ein. Wir sahen zu, wie sie den Motor startete und der Wagen einige abgehackte Sprünge auf dem Kies machte, bis sie ihn schließlich auf das offene Tor zusteuerte. Das Lenkrad sah sehr wuchtig aus: viel zu groß für ihre kleinen, zierlichen Hände. Sie blickte über die Schulter und winkte uns lächelnd ein letztes Mal zu.
    »Wiedersehen, Mum«, schrie Danny, als sie auf die Straße abbog, mit dem einen Seitenspiegel an dem Flieder vorbeischrammte und mit dem anderen beinahe den Rhododendron berührte. »Wow«, rief er und wandte sich mir mit einem breiten Grinsen zu. »So eine Überraschung.«
    »Ja«, erwiderte ich. »Das kann man wohl sagen.«

17
    Allein die Erinnerung an mein Aussehen an jenem Tag hatte die Macht, mich noch viele Jahre später zu beschämen. Sogar jetzt, als ich in der Eingangshalle von Broadoaks stehe und so tue, als würde ich den gerahmten Druck einer Jagdszene betrachten, genügt der Gedanke daran, um mir eine leichte Wärme in die Wangen zu treiben. Ich frage mich, ob Mrs Ivanisovic sich wohl ebenso deutlich erinnert wie ich. Ich glaube ja. Jede Einzelheit dieser Begegnung muss sich in ihr Gedächtnis eingeätzt haben  –  jede Einzelheit dieses Besuchs, bei dem sie Danny das letzte Mal lebend gesehen hat.
    Dann fällt mir ein, dass jener Tag, als sie zum Tee vorbeikam, gar nicht das letzte Mal gewesen ist. Ein gefährlicher Gedanke flammt wie ein Blitzstrahl in meinem Kopf auf, beleuchtet ein Bild von Danny im Krankenhausbett, und seine Mutter, die neben ihm wacht. Er hat das Bewusstsein nie wieder erlangt. Haben sie das nicht bei der gerichtlichen Untersuchung gesagt? Ich krame den Zeitungsausschnitt heraus, aber darin steht nur eine Zusammenfassung des Geschehens: keine konkreten Details.
    Während ich in der Halle herumstreife und die gerahmten Drucke studiere, ohne sie wahrzunehmen, sage ich mir, dass sie unmöglich etwas wissen kann. Andernfalls
wäre sie zur Polizei gegangen  –  oder hätte mich zumindest schon vor Jahren damit konfrontiert. Dann denke ich über das Versprechen nach, das sie Stan gegeben hat. Ihrer beider Mitgefühl, weil sie wussten, dass auch ich litt. Sie hatten meinen Verlust als gleichrangig mit dem ihren wahrgenommen  –  als wäre ich bereits ein Familienmitglied gewesen.
    Ich hätte ihre Schwiegertochter sein können. Das ist die Theorie  –  die Vorstellung, der sie seit über dreißig Jahren anhängt  –, dass ich Danny geheiratet und seine Kinder geboren hätte. Wäre das eingetroffen, hätten Stan und sie Birmingham nicht verlassen, um näher bei ihrer Verwandten in Durham zu leben. Sie wären geblieben, um nah bei ihrem Sohn und ihren Enkelkindern zu sein. Und sie wäre nie hierher nach Broadoaks gekommen. Wenn es so weit gewesen wäre, hätte sie sich ein anderes Pflegeheim ausgesucht  –  näher bei uns, ihrer Familie. Unser aller Leben wäre völlig anders verlaufen. Ich wäre jetzt nicht hier, meilenweit von zu Hause entfernt, und hätte für eine Nacht in einem Hotel eingecheckt und meinen Badminton-Abend verpasst. Vielleicht hätte ich mit Ehemann und Familie gar keine Zeit für regelmäßige Badminton-Abende gehabt.
    Ich halte inne und kehre in die Realität zurück. Diesen Ehemann und diese Familie hätte es niemals gegeben. Die ganze Vorstellung, ich würde Danny heiraten und Mrs Ivanisovic junior werden, war von Beginn an pure Fantasie gewesen. Ich hatte nie ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Danny zu heiraten. Herrgott, ich war einfach nur eine junge Lehramtsstudentin. Wir kannten einander doch noch gar nicht so gut. Er war einfach mein Freund. Oh, wir hatten natürlich darüber geredet, wie sehr wir
uns liebten, aber Verliebtheit war ein Zustand, der für die meisten unserer Altersgenossen völlig unverbindlich und einem steten Wechsel unterzogen war. Es war nicht ernst . Man verpflichtete sich nicht, das ganze Leben

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