Was im Dunkeln liegt
nach Widerspruch hinter meinem Schweigen. Ich glaube nicht, dass Mrs Ivanisovic für die Wahrheit bereit ist – oder jemals bereit sein wird. Schließlich gelingt es mir zu sagen: »Ich weiß, es muss schrecklich für Sie sein – zumal Danny Ihr einziges Kind war.«
Ihre Antwort trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube.
»Er war nicht mein einziges Kind. Wir hatten noch einen anderen Sohn – Stephen.«
Entgeistert starre ich sie an. Dannys Einzelkindstatus war ein wesentlicher Aspekt von ihm gewesen – ein Eckstein seiner Persönlichkeit. Die Vorstellung eines Bruders ist nahezu undenkbar. Dann dämmert es mir.
»Er ist auch gestorben.« Die Worte entschlüpfen meinen Lippen mit einem Ausatmen, stehlen sich so diskret in den Raum, dass ich überzeugt bin, sie hat sie gar nicht vernommen. Etwas lauter sage ich: »Er ist vor Dannys Geburt gestorben.« Es ist eine überzeugte Aussage, aber sie widerlegt sie sofort.
»Er war sein jüngerer Bruder. Fast drei Jahre jünger als Danny.«
»Er wurde nach Danny geboren? Aber warum hat Danny dann immer behauptet, er sei ein Einzelkind?«
»Er hat Stephen vergessen. Dafür haben wir gesorgt. Das war für ihn das Beste.«
Schweigend warte ich ab, kann die Vorstellung von diesem anderen Kind noch nicht wirklich erfassen, während ich mir gleichzeitig denke, dass der Verlust eines Kindes das überlebende doppelt kostbar macht.
»Als Stephen zur Welt kam, war Danny noch nicht ganz drei Jahre alt. Stephen war völlig anders als Danny – blond, andere Gesichtszüge.« Sie hält kurz inne, ehe sie fortfährt: »Wir, das heißt die beiden Kinder und ich, waren an jenem Tag im Garten. Ich saß auf der Decke und spielte mit Baby Stephen, während Danny mit seinen Sandförmchen Kuchen backte. Er brachte sie mir immer, und ich musste dann so tun, als würde ich sie essen. Dann hörte ich das Telefon klingeln. Erst wollte ich Stephen mit ins Haus nehmen, doch dann sagte ich mir, es würde
nur eine Minute dauern und im Garten könne ihm ja nichts zustoßen.«
Sie sieht mich nicht mehr an. Ihr Blick ist auf die gegenüberliegende Wand geheftet. Ich brauche ihm nicht zu folgen, weil ich die Szene bereits sehen kann, die sich vor meinen Augen wie ein verblichener Film abspult. Ich sehe, wie sie zögert, ehe sie durch das Gras eilt und das Baby auf der Decke und den kleinen Jungen mit den dunklen Locken im Sandkasten bei seinen Backförmchen zurücklässt.
»Stephen war neun Monate alt, und er krabbelte nie weiter als ein paar Zentimeter, ehe er sich herumrollte und aufgab. Alle sagten, er würde ein früher Läufer sein, weil er ein so schlechter Krabbler war. Als ich ins Haus ging, rief ich Danny zu: ›Pass auf das Baby auf‹ – auf die Art, wie man das zu kleinen Kindern sagt. Ich war nicht länger als ein, zwei Minuten weg, doch als ich zurückkam, war Stephen verschwunden. Danny spielte immer noch im Sandkasten, aber von Stephen weit und breit keine Spur. ›Wo ist Stephen?‹, schrie ich, doch Danny starrte mich einfach nur an. Ich hatte ihn erschreckt, verstehen Sie? Er hatte noch nie erlebt, dass ich Angst hatte, und als ich so laut schrie, fürchtete er sich.«
Unwillkürlich beginnt mein Herz vor Mitgefühl schneller zu klopfen. Trotz ihres nüchternen Tons sehe ich die verstörte junge Frau von einst vor mir, die auf die leere Decke starrt, auf das verlassene Babyspielzeug.
»Ich hätte das niemals sagen sollen. Man darf ein Kind niemals für seine Geschwister verantwortlich machen. Ich hätte die beiden niemals allein lassen dürfen. Ich habe Stephen im Gartenteich gefunden. Es war meine Schuld, und dennoch gab ich Danny das Gefühl, er sei dafür verantwortlich.
Das hat ihn extrem belastet. Er bekam Albträume – bildete sich alle möglichen Dinge ein. Stan und ich stimmten darin überein, dass kein Kind unter solch einem Schatten aufwachsen dürfe – sich für etwas verantwortlich zu fühlen, wofür es nichts kann, ein Leben lang unter Schuldgefühlen leiden. Jedermann wusste, dass es ein schrecklicher Unfall gewesen war, aber Danny war noch nicht alt genug, um das zu begreifen. Wir beschlossen, es sei für ihn das Beste, wenn er Stephen vergessen würde. Dann müsste er sich später nie mit der Frage herumquälen, ob er seinen kleinen Bruder hätte retten können. Wir baten unsere Verwandten, niemals darüber zu sprechen – und Stan und ich gelobten, Stephen nie wieder zu erwähnen, auch nicht, wenn wir unter
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