Was im Dunkeln liegt
Simon. »Komm runter. Wenn wir fahren, dann fahren wir jetzt.«
Ich spielte mit dem Gedanken, ihn zu ignorieren – aber irgendetwas in seiner Miene warnte mich, die Sache auf die Spitze zu treiben. Also stapfte ich die Treppen hinunter und marschierte durch die Diele. Simon stand neben der Haustür und wartete, um die Tür hinter mir abzuschließen. Wie immer kletterte ich auf die Rückbank, während die beiden Jungs vorne Platz nahmen. Als Simon den Wagen anließ, sagte ich: »Wir hätten es der Polizei erzählen sollen.«
Niemand antwortete. Simon jagte den Motor hoch und knallte den Gang so heftig ein, dass der Wagen wie vor Schmerz aufheulte. Als wir in einer scharfen Kurve auf die Straße einbogen, fiel ich halb über den Sitz und wieder zurück.
»Hey«, protestierte Danny. »Wir wollen doch heil ankommen, oder?«
»Wir hätten es ihnen sagen sollen«, beharrte ich. »Diesem Sergeant Dingsda und dem anderen Typen. Wir hätten ihnen das mit Trudie erzählen sollen.«
»Aber klar doch!«, schrie Simon. »Deshalb haben wir ihre Leiche ja auch versteckt – damit wir der Polizei von Staffordshire bei der erstbesten Gelegenheit alles brühwarm erzählen.«
»Wir hätten es ihnen erklären können«, wandte ich ein. »Wir hätten sagen können, dass Trudie sich selbst erhängt hat. Und dass wir dann Angst bekommen hätten und dachten, es sei das Beste, die Sache zu vertuschen –
aber jetzt hätten wir unseren Fehler erkannt. Wir hätten sagen können, dass Trudie mit Selbstmord gedroht hat und allein losgegangen ist – und wir uns auf die Suche nach ihr gemacht haben und zu spät gekommen sind, um sie noch zu retten …« Ich brabbelte nur noch vor mich hin. Hangelte mich von einem Strohhalm zum anderen.
»Die kleine Lügnerin, wie sie leibt und lebt«, sagte Simon.
»Du weißt, dass das nicht funktioniert hätte«, wandte Danny etwas freundlicher ein.
»Wir müssen jetzt die Wahrheit sagen«, antwortete ich. »Bevor es zu spät ist.«
»Hast du sie nicht mehr alle?«, fiel mir Simon erneut ins Wort. »Bevor es zu spät ist? Wir haben sie begraben – kapierst du das nicht? Es war schon von dem Moment an zu spät, als wir die Leiche aus dem Wald geschafft haben. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.«
Ich antwortete nicht. Tränen rollten über meine Wangen, hinterließen feuchte Flecken auf der Vorderseite meines T-Shirts. Ich wusste, er hatte recht. Unser Pakt war in der vergangenen Nacht geschmiedet worden. Es gab kein Zurück. Während wir schweigend weiterfuhren, hielt Simon ein vernünftigeres Tempo ein. Ich versuchte, einen Kamm durch meine Haare zu ziehen, doch obgleich ich mich bewusst darauf konzentrierte, merkte ich, wie mir mit jeder Meile, die wir uns der Stadt näherten, übler wurde. Es begann mit harmlosen Schmetterlingen im Bauch und steigerte sich zu qualvollen Angstkrämpfen. Es war nicht so, dass uns in der Stadt jeder kannte, aber wir hatten regelmäßig die Geschäfte aufgesucht – immer in Begleitung von Trudie. Angenommen, jemand würde sich ganz beiläufig nach ihr erkundigen – an der Supermarktkasse
oder beim Gemüsehändler: »Wo ist denn Ihre Freundin heute?« Wir hatten uns keine Antwort überlegt, keine Geschichte abgesprochen. Wir waren die amateurhaftesten Verbrecher in der Geschichte. Wir würden damit nicht länger als einen halben Tag durchkommen.
Simon fand auf dem Hauptplatz eine freie Parklücke. »Wartet einen Moment«, sagte ich, als er die Handbremse zog und Danny die Hand nach dem Türgriff ausstreckte.
»Was ist denn jetzt wieder?«, fragte Simon.
»Wir müssen uns eine Geschichte zurechtlegen – falls jemand nach Trudie fragt.«
»Das können wir später tun«, erwiderte Simon ungeduldig.
»Nein – nein, das können wir nicht. Angenommen, in einem der Geschäfte fragt jemand nach ihr.«
»Warum sollte jemand nach ihr fragen?«, sagte Danny.
»Möglich wäre es doch«, beharrte ich. »Ihr wisst doch, wie Trudie war – auffällig, zu allen freundlich. Angenommen, jemand fragt tatsächlich, was sollen wir antworten?«
Danny dachte kurz nach. »Sie ist weitergezogen, ganz einfach.«
Simon öffnete die Tür. »Kommt«, sagte er. »Lasst uns nicht unnötig Zeit verschwenden.« Er klappte den Fahrersitz nach vorn und hielt mir die Tür auf. Als ich mich aufrichtete, begegneten sich unsere Blicke für einen Moment. In seinen Augen lag etwas, das mich frösteln ließ. Etwas so Dunkles und Verzweifeltes, wie ich es
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