Was im Dunkeln liegt
noch nie zuvor wahrgenommen hatte.
Ohne ein weiteres Wort schritten die beiden auf die Geschäfte zu, während ich ihnen hinterherhastete und mich fragte, ob man mit dem plötzlichen Tod eines Menschen leichter fertigwurde, wenn man so etwas schon einmal
erlebt hatte. Simon und Danny hatten auf ihrem Campus bereits Kontakt mit einem gewaltsamen Tod gehabt. Stumpfte einen das ab? Funktionierte das wie eine Impfung – eine Immunisierung, weil man dem Erreger schon einmal ausgesetzt gewesen war? Doch den Tod von Rachel Hewitt hatten sie nur am Rande miterlebt. Mit Trudies Leiche hingegen hatten sie ganz direkt zu tun gehabt – sie hatten sie eigenhändig bestattet. Aus dem Nichts kam mir ein Bild von Simons Schraubenzieher in den Sinn. Gefolgt von einem grellen Blitz, der meine Wirbelsäule als Stromleiter benutzte. Rachel Hewitt war erwürgt worden. Wütend verbannte ich den Gedanken. Trudies Tod war ein Unfall gewesen – ein schrecklicher Unfall. Was wir anschließend einvernehmlich getan hatten, war an sich vielleicht falsch gewesen, aber dennoch verständlich – und der Besuch der Polizei heute Morgen war letztlich eine Bestätigung dafür, dass unsere Motive gerechtfertigt gewesen waren.
Im Supermarkt wanderte ich durch die Gänge und warf wahllos irgendwelche Lebensmittel in den Korb. Danny legte zwei Flaschen Whisky dazu – damit wir ein paar Stunden Schlaf kriegen, wie er murmelte. Ich schaffte es einfach nicht, mich zu konzentrieren. Außer uns waren nicht viele Kunden in dem Laden, doch ich war überzeugt, dass sie uns alle verstohlen beobachteten. Meine verfilzten Haare machten die Sache nicht gerade besser, und als wir an die Kasse kamen, musterte die ältliche Kassiererin mit hochgezogenen Brauen die beiden Whiskyflaschen.
»Sparen wir uns den Gemüseladen«, sagte ich, als wir draußen waren. »Trudie hat mit dem Verkäufer immer ein Schwätzchen gehalten.«
»Sei nicht albern«, entgegnete Danny. »Wenn du willst, gehe ich allein rein.«
Falls er mich mit seinen Worten beschämen und zum Mitkommen bewegen wollte, so hatte er damit keinen Erfolg. Ich zählte ihm auf, was wir brauchten, und überließ es ihm dann, sich mit dem netten Gemüsehändler auseinanderzusetzen. Simon blieb mit mir auf dem Gehsteig zurück und betrachtete mit gespieltem Interesse die Auslage eines Eisenwarenladens. Nebenan befand sich ein Zeitschriftenladen, und aus reiner Gewohnheit zog ich eine Zeitung aus dem neben der Tür hängenden Ständer und begann sie durchzublättern. Ich suchte nach nichts Besonderem, wollte einfach nur die Zeit totschlagen und möglichst unauffällig bleiben. Plötzlich fiel mein Blick auf die Worte Trudie Finch – ein kleiner Artikel im Inneren der Zeitung – diesmal ohne Foto.
»Simon, sieh dir das an!« Ich hielt die Zeitung so, dass wir beide darin lesen konnten.
… eine Freundin angerufen, um mitzuteilen, dass sie lebt und wohlauf ist … Hoffnung wächst, dass sie bald nach Hause zurückkehren wird …
»Hallo, ihr da – wollt ihr die Zeitung nun kaufen oder nicht?« Schon beim ersten Laut der aus dem Laden dringenden zornigen Stimme faltete ich die Zeitung hastig zusammen und stopfte sie in den Ständer zurück. Ich hätte sie natürlich ohne Weiteres kaufen können, doch mir kam es vor, als würde mich allein schon das Interesse an dem Blatt irgendwie verdächtig wirken lassen. Der Ladeninhaber, bekleidet mit einem braunen Overall und flacher Kappe, kam geschäftig zur Tür geeilt und rückte die Zeitung demonstrativ zurecht. »Verdammte Hippies«, brummelte er.
»Sie muss eine Freundin angerufen haben«, zischte ich, sobald wir einige Meter zwischen uns und den Zeitungsmann gebracht hatten.
»Wann denn – und wie?«
»An dem Tag in Leominster – als wir Josser über den Weg gelaufen sind. Ich sah sie aus einer Telefonzelle kommen. Mal angenommen, sie hat ihrer Freundin erzählt, wo sie ist?«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Simon. »Andernfalls wäre die Polizei längst bei uns aufgetaucht. Oder ihre Eltern wären gekommen, um sie abzuholen.«
»In der Zeitung war ein Foto von ihr«, sagte ich. »Jemand könnte sie wiedererkannt haben.«
»Aber das ist nicht passiert, richtig? Kein Mensch liest die Zeitung von vorne bis hinten.«
»Es war nur ein Schulfoto«, fuhr ich fort. »In Wahrheit sah sie viel älter aus – ohne ihre Schuluniform.«
»Na bitte. Und niemand hat sie wiedererkannt. Sonst wäre schon
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