Was im Leben zählt
toll.»
«Es wird ganz toll, CJ. Hast du die Mail gelesen, die ich letzte Woche rumgeschickt habe, über den Triumphbogen?» Ich lächle – diesmal ist es echt – von einem Ohr zum anderen, als ich an meine eigene Prom Night zurückdenke. Ich im hellblauen Kleid, Ty im Smoking seines Vaters, eng tanzend zu I Will Always Love You , während sich in der Turnhalle die Discokugel drehte und die heimlich gepanschte Bowle meine Sinne wärmte.
«Ja, hab ich». Ihr Lächeln verendet kurz vor den Augen. «Sie haben recht. Es wird wunderbar.»
Nachdem CJ gegangen ist, versuche ich, mich auf andere Dinge zu konzentrieren, auf Routinekram, aber ihr herzzerreißender, verzweifelter Anblick geht mir nicht aus dem Kopf. «Ich stecke nicht fest. Ich stecke nicht fest!» Ich wiederhole den Satz, wieder und wieder, eine Angewohnheit aus Kindertagen, als ich noch dachte, wenn man etwas nur oft genug wiederholt, wird es vielleicht wahr.
Ich starre zum Fenster hinaus aufs Spielfeld, das so lange leer, ruhig und unberührt bleibt, bis es am Nachmittag von der Softball-Mannschaft niedergetrampelt wird. Ich streiche mir über den Bauch. Ein Zeichen, eine Ahnung, eine Hoffnung. Eine Chance für Tyler und mich, unzertrennlich zu werden. Denn ungeachtet all dessen, was ich mir einzureden versuche – ja, doch, wenn ich wirklich ganz ehrlich bin –, muss ich mir die Existenz haarfeiner Risse eingestehen. Seine Unzufriedenheit. Dabei habe ich Tyler und mich immer für unzertrennlich gehalten. Von unserem allerersten Kuss an – wir waren in einer klaren Septembernacht nach ein paar Bier alle zusammen in den umzäunten Football-Platz eingestiegen, um etwas Dampf abzulassen – wusste ich, dass wir unzertrennlich waren. Ich hatte ihn den ganzen Sommer lang im Auge gehabt, und der Überschwang der Gefühle hatte mich völlig überrascht.
Wir waren seit der Grundschule befreundet. Meine Mutter war schwer krank. Er hatte gerade mit Claire Addleman Schluss gemacht, die in meiner Cheerleader-Gruppe war und der ich deswegen Freundschaft und Treue schuldete. Und trotzdem sprangen wir zusammen vom Steg in den See oder saßen abends eng beieinander am Lagerfeuer, und nichts anderes war wichtig, vor allem die Krankheit meiner Mutter nicht. Innerhalb der kleinen Schutzblase, die ich aufgepustet hatte, beschützte Tyler mich vor dem Schmerz und der Pein, die über mich hereinbrachen, sobald ich diesen Kokon verließ. Und als wir uns damals auf dem Football-Feld ins Gras legten, die hellen Sterne am schwarzen Nachthimmel betrachteten und er sich enger an mich schmiegte und dann seinen Kopf zu mir neigte und dann mit der Hand mein Kinn zu sich drehte und dann seine Lippen auf meine legte, da wusste ich, dass es für immer war. Die große Blase stieg um uns hinauf, umschloss uns und drängte alles andere hinaus ins Nichts.
Ich weiß, was für ein Glück es ist, dass wir uns so früh begegnet sind und dass uns die vielen Fehler erspart geblieben sind, mit denen einige unserer Freunde zu tun hatten: schwanger auf der High School; mit sechsundzwanzig geschieden; unglücklich – wie Austin –, bis du diesen einen verheerenden Fehler begehst und begreifst, dass du gar nicht wusstest, was Unglück bedeutet, bevor deine Frau dich emotional kastriert und mit einem Arschtritt vor die Tür befördert hat. Nicht, dass Tyler und ich es immer leicht gehabt hätten – die Fahrerei an den Wochenenden in der Collegezeit, die Saufgelage mit ihren Versuchungen, die Tatsache, dass wir gemeinsam erwachsen werden mussten, anstatt uns erst zu einem Zeitpunkt zu begegnen, da wir bereits allein erfahren hatten, wer wir sind. Aber wir haben es geschafft, wir haben es durchgestanden, trotz allem.
Der Gong reißt mich aus meinen Erinnerungen.
Wir stecken alle fest , denke ich wieder und greife zum Telefon, um es bei Ty zu versuchen. Ich will ihn erreichen, ich will sagen: Ich bin vielleicht schwanger, und ich wünschte, du wärst hier bei mir und nicht so verdammt weit weg in der Hütte von Nolan Greens Eltern am See . Doch die Mailbox springt an, eine nichtssagende Begrüßung, die mir nicht das Gefühl gibt, dass er irgendwo da draußen ist und mich vermisst.
Plötzlich erklimmt eine Spinne das Tischbein und krabbelt über meine Prom-Night-Unterlagen. Flüchtig überlege ich, sie zu retten, sie nach draußen zu ihrer missratenen Familie zu befördern, doch stattdessen beuge ich mich hinunter, ziehe meine Sandale aus und – platsch! – vorbei. Aus und
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