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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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setzt: In jedem Fall kämpften die beiden Seiten um konkurrierende Visionen von Freiheit, und damit auch um ihre Vorstellung von Demokratie.
    In den Nordstaaten setzte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Freiheitsbegriff immer mehr durch, der die Institution der Sklaverei frontal angriff, und zwar aus mehreren Quellen. Die Reformbewegungen mit ihren Vereinen und Wohltätigkeitsnetzwerken schrieben sich die Abschaffung der Sklaverei im Süden auf die Fahne, betrieben politische Lobbyarbeit, unterstützten Fluchtwege aus dem Süden in die nördliche Freiheit und setzten auf die anklagende Macht des Wortes in Erfolgsromanen wie Harriet Beecher Stowes «Uncle Tom’s Cabin» von 1852. Gleichzeitig formte sich ein neues Parteiensystem, in dem die neue Partei der Republikaner zum (bis heute) wichtigsten Gegenspieler der Demokraten wurde. Die Programmatik der Republikaner ankerte in einem Verständnis von persönlicher Freiheit, das nicht nur Ausdruck von Menschenfreundlichkeit war, sondern auch Spiegel der industriell-kapitalistischen Umwälzung, die sich seit der Jahrhundertmitte beschleunigte und jenseits von Küstenregionen auch das Hinterland, die neuen Städte an den Großen Seen wie Chicago, zu erfassen begann. Die Freiheit des Individuums, der Arbeits- und Vertragsverhältnisse (als «freie Lohnarbeit») und des Grund und Bodens als frei veräußerliches Gut gehörten in dieser Sicht unmittelbar zusammen und ließen für die Sklaverei keinen Platz. Abraham Lincoln gehörte, auch in der Frage der Sklaverei, zum eher entschiedenen, nicht kompromissbereiten Flügel der Republikaner. In einer seiner frühen Reden hatte er bereits im Juni 1858 erklärt, die Vereinigten Staaten könnten nicht auf Dauer «half slave,half free» existieren; sie müssten ganz das eine oder ganz das andere sein. Dass er selber für die Freiheit war, daran ließ er keinen Zweifel.
    Man wird nicht behaupten können, dass es den Südstaaten in gleicher Weise um die Verteidigung von Freiheit und Demokratie ging; sicher nicht im heutigen Sinne der Begriffe. Und doch haben Historiker in letzter Zeit argumentiert, man könne die Verteidigung der Sklaverei, der Freiheit der eigenen Lebensweise und der Freiheit der Staaten gegen die vermeintliche Vormundschaft des Bundes nicht als notdürftig zusammengeschusterte Rechtfertigung abtun. Sie war kein bloß rhetorischer Vorwand, an den im Süden selber niemand wirklich glaubte, da es doch offensichtlich um die Verteidigung persönlichen Besitzes und eines profitablen Systems der Landwirtschaft gegangen sei. Vielmehr hatte sich über lange Zeit, seit dem 17. Jahrhundert und auch durch die Revolution hindurch, eine Auffassung tief in die südliche Mentalität und politische Weltanschauung eingegraben, nach der Sklaverei und republikanische Freiheit zwei Seiten derselben Medaille waren. Im 19.Jahrhundert, in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg, verfestigte sich diese Haltung und nahm neue Elemente auf: die Existenz und den Fortschritt der westlichen, auch der christlichen Zivilisation, als deren Bannerträger sich die südlichen Eliten verstanden; auch neue rassistische Argumente. Die Südstaaten begriffen sich entschieden als republikanisch, und die Konföderation sollte selbstverständlich nicht einen Rückweg zu den Monarchien und Ständegesellschaften europäischen Stils einschlagen.
    So fanden sich unter den Verteidigern der Sklaverei und des Rechtes der Staaten, darüber selber zu bestimmen, hochintelligente Politiker. Sie versuchten sogar, wie John C. Calhoun aus South Carolina, so etwas wie eine eigene Demokratietheorie hervorzubringen. Calhoun war sieben Jahre Vizepräsident der USA und bis zu seinem Tod 1850 lange Jahre als Senator für seinen Heimatstaat in Washington. Als er die Südstaaten immer mehr in die Defensive geraten sah, entwickelte er eine Theorie des Minderheitenschutzes (die Minderheit waren ihm die Südstaaten, nicht die unfreien Sklaven!) unter dem Leitbegriff der «concurrent majority», also der übereinstimmenden oder zusammenwirkenden Mehrheit. Wenn eine Mehrheit immer ohne weiteres ihren Willen durchsetze, sei das nicht demokratisch, sondern der Weg in die Despotie. Minderheiten müssten also mitberücksichtigt werden, eine Art Einspruchs- oder Vetorecht erhalten. Damit berührte er eine Problematik der Demokratie, die ebenso

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