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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Streit, weil der Rassismus inzwischen auch vor neuen Einwanderern, zum Beispiel Chinesen an der Westküste, nicht Halt machte.
    Eine andere fundamentale Ungleichheit blieb nicht nur bestehen, sondern wurde sogar erstmals ausdrücklich in der Verfassung festgehalten: Der 14. Zusatzartikel sprach im Zusammenhang mit dem Wahlrecht nämlich von der «männlichen Bevölkerung». Wie schon bei der Ausweitung des Wahlrechts für die weißen Männer um 1830 zeigte sich also, dass die Inklusion der einen mit einem schärferen Ausschluss der anderen, hier also der Frauen, erkauft sein konnte. Aber auch die schwarzen Männer konnten das Wahlrecht und die staatsbürgerliche Gleichheit nur etwa zwei bis drei Jahrzehnte genießen, bis um die Jahrhundertwende eine radikale Gegenbewegung einsetzte.
6 Grenzen der Demokratisierung:
Das deutsche Kaiserreich 1871–1918
    Passen Kaiserreich und Demokratie überhaupt zusammen? Das aus dem preußisch-österreichischen Krieg und dem Krieg gegen Frankreich hervorgegangene «Zweite» Kaiserreich (nach dem 1806 untergegangenen, dem Heiligen Römischen Reich) war vor nicht allzu langer Zeit für viele Historiker alles andere als demokratisch, ja sogar eine wichtige Etappe auf dem späteren Weg in die nationalsozialistische Diktatur. Zwischen den 1960er und 1980er Jahren warfen sie einen besonders kritischen Blick auf die Zeit Bismarcks und Wilhelms II., weil sie in der immer noch jungen und unsicheren Demokratie der Bundesrepublik nach tieferen Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik suchten. In einer besonders pointierten Formel charakterisierte Hans-Ulrich Wehler die Politik der ersten zwanzig Jahre des Kaiserreichs, also der von Bismarcks Kanzlerschaft geprägten Ära bis 1890, als «plebiszitär gefestigtes, bonapartistisches Diktatorialregime im Gehäuse einer halbabsolutistischen und pseudokonstitutionellen Militärmonarchie». Darin war fast alles enthalten, was undemokratische Regierungen alten wie neuen Typs bezeichnete: Monarchie und Absolutismus einerseits, Diktatur und Militärherrschaft andererseits – ein Regime des Übergangs vom Regen in die Traufe. So verstand man unter «Bonapartismus» denn auch genau dies: die Herrschaft eines starken Mannes in der Zeit, als Adel und alte Eliten noch nicht abgedankt hatten, das neue Bürgertum aber noch nicht selber zur Herrschaft bereit war. Dass dieses Regime «plebiszitär» war, also durch den direkten Appell an das Volk gestützt, verwies immerhin auf eine wichtige Errungenschaft des Kaiserreichs: die Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts bei den Reichstagswahlen, die zunächst alle drei Jahre, nach 1893 alle fünf Jahre abgehalten wurden.
    Tatsächlich war das Kaiserreich, wie der Name schon sagte, keine Republik, sondern ein Bund souveräner Fürsten, die als Oberhaupt ihrer Vereinigung den mächtigsten unter ihnen, den preußischen König, zugleich als deutschen Kaiser einsetzten. Die Verfassung ging nicht aus einer gewählten Versammlung hervor, wie das Paulskirchenparlament das 1848 versucht hatte, und der neue Nationalstaat berief sich auch nicht auf das Prinzip der Volkssouveränität; er begann noch nicht einmal mit einem fiktiven «Wir, das Volk». Vielmehr war das Reich einBündnis seiner 25 Mitglieder, die ihrerseits allesamt, von den drei «freien Städten» Bremen, Hamburg und Lübeck abgesehen, einen erblichen Fürsten an der Spitze hatten. Diese föderale Konstruktion spiegelte sich im Bundesrat, während der Reichstag zwar auf einer demokratischen Grundlage ruhte, die keinerlei Vergleich zu scheuen brauchte, aber nicht die Regierung bestimmen konnte. Denn dem Prinzip der konstitutionellen Monarchie entsprechend ernannte der Kaiser die Reichskanzler, die sich für ihre Politik dann im Parlament eine (durchaus auch wechselnde) Mehrheit suchen mussten. Im Laufe der Jahrzehnte gewann der Reichstag zwar erheblich an Selbstbewusstsein und näherte sich in seinem Stil immer mehr einem heutigen demokratischen Parlament an. Das palastartige Gebäude nach Plänen des Architekten Paul Wallot, das seit 1894 den Reichstag aufnahm, strahlte dieses Selbstbewusstsein aus, doch wurde es nicht zufällig aus Berlins monarchischer Mitte verbannt, jenseits der alten Stadtgrenze, und fand sich deshalb 1945 im Westteil der Stadt wieder.
    Aber nicht nur die Verfassung, der

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