Was ist Demokratie
erst im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, wurde demokratische Verfassung wieder vorstellbar, und für manche auch wünschenswert. Dennoch: Die Schwelle zur modernen Demokratie konnten auch der frühe Republikanismus und die Aufklärung noch nicht überschreiten.
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1 Nicht wir:
Die Erfindung der Demokratie in Athen
Vor etwa zweieinhalbtausend Jahren entstand im östlichen Mittelmeerraum, auf der griechischen Halbinsel Attika, zum ersten Mal überhaupt in der Weltgeschichte Demokratie. Die Bürger von Athen überlieÃen die Regierung ihrer Polis, also ihres stadtstaatlichen Gemeinwesens, nicht einem König, einem Tyrannen oder einer schmalen aristokratischen Elite, was weithin den kaum hinterfragten Normalfall darstellte, sondern regierten sich selbst: frei und einander gleich; durch die Ãbernahme von Ãmtern und unmittelbar in der Volksversammlung. So haben es Generationen von Schülern im Geschichtsunterricht gelernt, und das historische Beispiel dient dabei bis heute zugleich als ein Sprungbrett für die Beschäftigung mit der Gegenwart, ja als eine Art archimedischerPunkt der politischen Pädagogik, der Erziehung zur Demokratie. Die moderne Geschichts- und Altertumswissenschaft hat den Glanz des unmittelbaren, geradezu heroischen Vorbilds gehörig angekratzt, den der Griechenkult in der humanistischen Bildung seit dem späten 18. Jahrhundert gepflegt hatte. Die athenische Demokratie war weit von der Gegenwart entfernt; ihre Bürger würden sich in unserer Demokratie keineswegs sofort zurechtfinden. Das klassische Athen des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., in dem sich diese Regierungsform entfaltete, hat den modernen «Westen» der Aufklärung oder gar die nordatlantische Nachkriegsordnung nicht vorweggenommen, sondern war Teil einer Welt mit ganz anderen Koordinaten. Ihr Kompass zeigte nicht nach West- und Mitteleuropa, sondern in die ägäische Inselwelt, nach Nordafrika und in den Vorderen Orient, wo schon früher Hochkulturen geblüht hatten.
Dennoch hat auch eine nüchterne und kritische Forschung der letzten Jahrzehnte das Bild von der Erfindung der Demokratie im antiken Griechenland nicht umgestoÃen, vielmehr insgesamt bestätigt, und zum Teil sogar noch pointierter als früher gezeichnet. «Erfindung» heiÃt dabei aber nicht, dass die Athener durch intensives Nachdenken und Philosophieren über eine bessere Regierungsform auf die Demokratie gekommen wären, dass sie eine Blaupause der Demokratie angefertigt und diese anschlieÃend planmäÃig in Verfassung und praktische Politik umgesetzt hätten. Dazu fehlte ihnen schon das moderne Bewusstsein von Zeit und Fortschritt, das seit dem späten 18. Jahrhundert Republik und Demokratie als einen Auftrag der Geschichte und einen Entwurf für die Zukunft verstand. Die athenische Demokratie entstand also nicht zuerst in der Theorie, sondern entwickelte sich, langsam und in vielen Etappen, im praktischen Vollzug. Dass dabei eine «Demokratie» entstehen würde, war den Zeitgenossen vorher (oder auch währenddessen) nicht klar, zumal das Wort ihnen zunächst noch nicht zur Verfügung stand â es tauchte erst in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts auf, nach den Reformen des Perikles, als die entsprechende Verfassung bereits in mehreren Stufen ausgebaut war und ihre «radikale» Stufe erreicht hatte.
Insgesamt dauerte die Geschichte der athenischen Demokratie knapp drei Jahrhunderte. Sie begann mit den Reformen des Solon, der im Jahre 594 v. Chr. von seinen Mitadligen in das Amt des «Archon» gewählt wurde. Er sorgte für eine Entlastung der völlig überschuldeten und damit unfrei gewordenen Bauern und durchbrach die Vorherrschaft desAdels in Politik und Gesellschaft durch ein Zensussystem. Politische Teilhabe bemaà sich jetzt an vier Vermögensklassen â das klingt nicht sehr demokratisch, erinnert aber an den späteren «Umweg» der modernen Demokratie von der ständischen Gesellschaft in die staatsbürgerliche Gleichheit über das Zensuswahlrecht. Seine Gesetze lieà Solon auf steinerne Tafeln schreiben. Das war das Signal für eine von Menschen gemachte, «gesatzte» Ordnung, die auch wieder veränderbar war. Die politischen und sozialen Verhältnisse leiteten sich nicht aus göttlicher Fügung ab, sondern konnten bewusst gestaltet werden.
Die zweite
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