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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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krasseste Beispiel antidemokratischer und menschenverachtender Siedlermentalität.
    Ob es bloß eine Ironie der Geschichte ist, dass Südafrika seit den 1990er Jahren zu den wenigen stabilen Demokratien auf dem afrikanischen Kontinent gehört, oder ob seine siedler-republikanische Vergangenheit, gegen alle mit ihr verbundenen Kosten, daran einen gewissen Anteil trägt – das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Historische Siedlergesellschaften gehören am Anfang des 21. Jahrhundertszu den erfolgreichsten Demokratien außerhalb Europas – auch Israel lässt sich, wiederum mit aller Ambivalenz von Grenzziehung und Exklusion, sehr gut in diese Reihe stellen. Und welche Region der Erde hat der europäische Kolonialismus und Imperialismus so unberührt gelassen, dass seine Nachgeschichte nicht, ob fördernd oder als Hemmnis, die Demokratisierung der unabhängigen Staaten beeinflusste? Japan und Indien aber sind Beispiele asiatischer Demokratien, die sich trotz ihrer kolonialen Vorgeschichte nicht als Siedlerdemokratien etabliert und behauptet haben.
8 Das Frauenwahlrecht:
Die andere Hälfte der Demokratie
    Die Vorstellung, dass Frauen in älteren Gesellschaften, vor dem Aufstieg der westlichen Hochkulturen mit ihrer Männerdominanz, gleichberechtigt waren oder sogar politisch den Ton angaben, hat seit jeher eine große Anziehungskraft ausgeübt: Man denkt an Amazonen oder an Gesellschaften, in denen Matriarchat und «Mutterrecht» herrschten. Solche historischen Vorbilder moderner Frauenemanzipation sind durch empirische Fakten aber kaum gestützt. Überall, wo sich komplexere politische Herrschaftssysteme ausgebildet haben, hatten Männer die entscheidenden Positionen inne, als Stammesälteste, Könige oder Richter; in der athenischen Volksversammlung ebenso wie bei den Indianern Mittel- und Nordamerikas; im römischen Senat ebenso wie in mittelalterlichen Stadträten. In einigen der wichtigsten europäischen Monarchien kamen Erbfolge und Dynastie vor dem Geschlecht, aber als Triumph der Partizipation von Frauen lässt sich die Herrschaft Elisabeths I. in England im 16. Jahrhundert oder der russischen Zarin Katharina II. nicht bezeichnen. Immerhin war die Grenze zwischen den Geschlechtern in der Vormoderne nicht immer so scharf gezogen, wie das im 19. Jahrhundert zur Regel wurde. Wo politische Mitsprache an Besitzrechte geknüpft war, konnten Frauen manchmal den Platz ihres verstorbenen Mannes einnehmen, also als Witwen den Familienbesitz weiter repräsentieren, in Einzelfällen auch durch eine politische Stimmabgabe. Als für Männer die Zensusschranken fielen und sich das universelle Wahlrecht durchsetzte, tauchten in den Gesetzen immer wieder Klauseln auf, die Frauen explizit vom «allgemeinen» Wahlrecht ausschlossen, wie 1832 in England oder 1868 in den USA.
    Das bedeutet aber nicht, dass Frauen damit auf breiter Front Rechte verloren, die sie vorher gehabt hätten. Die Übergangszeit vor allem des 19. Jahrhunderts, als Männer schon, Frauen aber noch nicht wählen durften, zeigt vielmehr ein Janusgesicht. Einerseits nahm das Bewusstsein für die vermeintlich natürlichen Unterschiede der Geschlechter und ihrer Befähigung zu. Politik galt nicht mehr als Reservat für Eliten, sondern als Ausdruck der außerhäuslichen Veranlagung aller Männer, während Frauen auf den inneren, privaten Bereich von Familie, Erziehung, Haushalt verwiesen wurden und sich auch in der Öffentlichkeit allenfalls sozial, nicht politisch, engagieren sollten. Andererseits konnte sich diese Differenz kaum irgendwo länger als für wenige Jahrzehnte etablieren. Das allgemeine Männerwahlrecht wirkte für viele Frauen – und immer auch einige Männer – beinahe sofort als ein Stachel, möglichst bald nachzuziehen. In England setzte sich John Stuart Mill schon in den Reformdebatten der 1860er Jahre auch für ein Frauenstimmrecht ein. In den USA hatten einige Staaten die Besitzschranken für Männer noch nicht ganz abgeschafft, als Elizabeth Cady Stanton in einer der Unabhängigkeitserklärung von 1776 nachempfundenen «Declaration of Sentiments» 1848 das Fehlen politischer Rechte der Hälfte der Bevölkerung beklagte. Einerseits also verschärften sich die Grenzen und wurden auf neue Weise ideologisch überhöht, andererseits gehören die Ausweitung des Männerwahlrechts

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