Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
Vom Netzwerk:
Jahren von der neuen Frauenbewegung praktisch aufgegriffen und von einer feministischen politischen Theorie kritisch durchdacht und weiterentwickelt.
9 Arbeiterbewegung und soziale Demokratie
    Am Anfang des 19.Jahrhunderts, besonders seit den 1830er Jahren, beschleunigte sich in Westeuropa und Nordamerika die Dynamik des industriellen Kapitalismus. Fabriken mit zentralisierter Produktion – für Textilien und Schuhe, wenig später für Eisen, Stahl und Lokomotiven – brachten Handwerksbetriebe in Bedrängnis. Unternehmer und Fabrikbesitzer, aber auch zahlreiche Kaufleute gelangten zu neuem Reichtum, während die Arbeiter, unter ihnen viele Frauen und Kinder, mit geringem Lohn und ohne die Sicherheiten der ständischen Ordnung, am untersten Rand der Gesellschaft existierten. Die Zeitgenossen sprachen oft noch vom «Arbeiterstand» oder vom «Pöbel», bald aber auch vom «Proletariat» als einer neuen «Klasse» der Gesellschaft. Seit etwa 1830, endgültig mit der Revolution von 1848 überschritt nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch die politische Diskussion und Organisation eine wichtige Schwelle. Die Vehemenz und Neuartigkeit der sozialen Frage ließ sich nicht länger bestreiten; Erklärungs- und Lösungsversuche tauchten auf, und nicht zuletzt wurden Forderungen nach Besserung und Überwindung des Elends laut, wie Friedrich Engels es 1844 in seiner «Lage der arbeitenden Klassen in England» eindringlich beschrieben hatte. Arbeiter begannen sich zur Selbsthilfe zusammenzuschließen, unter ihnen anfangs viele Handwerker in Branchen, die von der Industrie bedroht schienen; fortschrittlich gesinnte Bürger schlossen sich ihnen an oder gründeten eigene Vereine zur Sozialreform.
    So sprach man schon vor 1848 von der «sozialen Bewegung» und auch vom «Sozialismus», der mindestens bis zur Jahrhundertmitte ein weiter Sammelbegriff für konkrete Reformbestrebungen, etwa im Arbeiterschutz, aber auch schon für weitreichende, geradezu utopische Erwartungen einer humaneren Gesellschaft jenseits des Industriekapitalismus war. Gerade im britischen und französischen Frühsozialismus, etwa bei Robert Owen und Charles Fourier, gingen pragmatische Reform und weitgespannte Utopie eine enge Verbindung ein. Sie mündete öfters in die Gründung von Kommunen als Experimentierplätze einer neuen Lebensform, die nicht von Privateigentum und entfremdeter Arbeit, sondern von Gemeinschaftsbesitz und Gleichheit geprägt sein sollte. In Deutschland nahm der radikalere, der demokratische Flügel der liberalen Opposition im Vormärz die Herausforderung der sozialenFrage auf, besonders seit der Wirtschaftskrise von 1846/47. So verlangten die im September 1847 im badischen Offenburg verabschiedeten «Forderungen des Volkes» die «Ausgleichung des Missverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital», den Schutz der Arbeit und eine progressive Einkommensteuer, um zum Beispiel die Mittel für allgemeine Bildung «in gerechter Verteilung aufzubringen». Damit waren zentrale Begriffe und Programmpunkte formuliert, die dem Selbstverständnis von Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie für viele Jahrzehnte eine Richtung gaben.
    Von Sozialdemokratie (oder: sozialer Demokratie) sprach man in Deutschland seit der Revolution von 1848/49. In anderen Ländern bzw. anderen Sprachen war dieser Begriff weniger geläufig; dort setzte sich entweder «Sozialismus» stärker durch (wie in Frankreich), oder die Bezeichnungen der Bewegung kreisten um «Arbeit» und «Sozialreform» wie in England, wo die (allerdings erst am Anfang des 20. Jahrhunderts gegründete) sozialdemokratische Partei bis heute «Labour Party» heißt. Der Begriff «Demokratie» bezeichnete im Deutschen damals ohnehin weniger eine bestimmte Staats- oder Regierungsform, sondern eine Bewegung und ein radikales politisches Bekenntnis jenseits des gemäßigt-bürgerlichen Liberalismus – für die Verfassungsform oder als Hinweis auf die Volkssouveränität bevorzugte man, auch noch in der Sozialdemokratie des späten 19.Jahrhunderts, Bezeichnungen wie «Freistaat» oder «freier Volksstaat». Wenn diese Demokratie durch eine Programmatik im Sinne der sozialen Frage ergänzt werden sollte, sprach man von «sozialer Demokratie». Neben herkömmliche Forderungen nach Pressefreiheit oder unabhängiger

Weitere Kostenlose Bücher