Was ist Demokratie
bürgerliche Frauenbewegung, politisch oft den liberalen Parteien nahestehend, war zurückhaltender; das Wahlrecht stand meist nicht an erster Stelle, aber führende Protagonistinnen wie Helene Lange setzten sich seit Mitte der 1890er Jahre dezidierter dafür ein. Kurz darauf begannen in England die «Suffragetten» für Aufsehen zu sorgen. Damit waren vor allem Aktivistinnen der 1903 gegründeten «Womenâs Social and Political Union» gemeint. Sie versuchten mit unkonventionellen und drastischen Mitteln die Ãffentlichkeit zu gewinnen, bis hin zu Brandanschlägen einer gewaltbereiten Minderheit.
Immer wieder sahen sich bürgerliche Männer zu dieser Zeit von den Frauen, ihrem Wunsch nach Emanzipation im Allgemeinen und der Wahlrechtsforderung im Besonderen herausgefordert und organisierten sich sogar zum Widerstand. In den USA hatte sich schon 1897, im Staat New York, eine «Association Opposed to Woman Suffrage» gegründet, der sogar viele Frauen angehörten. In England gab es seit 1908 einen Frauenverband gegen das Frauenwahlrecht und seit 1909 eine Männerorganisation, die sich im folgenden Jahr zur «National League for Opposing Woman Suffrage» zusammenschlossen (und so friedlich politisch zusammenwirkten!). Das blieb in Deutschland nicht unbemerkt, wo 1912 der «Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation» auf den Plan trat, um das Frauenwahlrecht zu verhindern und Frauen aus anderen Bereichen wie dem Universitätsstudium zurückzudrängen, das sich ihnen gerade geöffnet hatte. Aber nicht nur für die Gegner, sondern erst recht für die Frauenbewegung selber spielte der internationale Kontakt eine ganz wichtige Rolle; für die Sozialistinnen war er ohnehin geradezu Programm. Nach der Einführung des Frauenwahlrechts übrigens strichen die antifeministischen Verbände meist schnell die Segel. Ãberhaupt ist auffällig, dass dieses Recht, einmal eingeführt, kaum mehr umstritten war, geschweige denn wiederrückgängig zu machen versucht wurde. Auch gesellschaftspolitisch extrem rückständige Regime im 20. Jahrhundert haben die politische Rolle der Frauen eher zu instrumentalisieren als zu beseitigen getrachtet; nicht zuletzt die Nationalsozialisten in Deutschland von 1933 bis 1945.
Und wann erhielten die Frauen nun das Wahlrecht â oder genauer, das «Stimmrecht», denn manchmal hinkte das passive Wahlrecht hinter dem aktiven der Stimmabgabe hinterher? Anfänge in lokalen und einzelstaatlichen Wahlen, vor allem in Australien und den USA, reichen bis in die 1860er Jahre zurück. Auf nationaler Ebene machte Neuseeland 1893 den Anfang, und das Frauenwahlrecht in Wyoming und Utah (1890 bzw. 1896) ermöglichte die Teilnahme auch an den nationalen Wahlen der USA. Noch vor dem Ersten Weltkrieg schwappte die Welle nach Nordeuropa: nach Finnland im Jahre 1906 und Norwegen 1913. Der «GroÃe Krieg» selber wirkte als Katalysator der politischen Berechtigung, auch für die Frauen; zwischen 1918 und 1920 führten Deutschland und die Vereinigten Staaten, Russland, Polen, mit Einschränkungen auch GroÃbritannien das Frauenwahlrecht ein. Das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte einen weiteren Schub, in dem sich Frankreich, Italien und Japan anschlossen. Kaum irgendwo war der Abstand zwischen allgemeinem Männerwahlrecht und Frauenwahlrecht gröÃer als in Frankreich: fast hundert Jahre zwischen 1848 und 1945. Aber Frankreich war nicht das einzige «klassische» Land von Republik und Demokratie, das sich mit weiblichen Bürgerinnen besonders schwer tat â noch länger dauerte es in der Schweiz, die erst 1971 Frauen auf Bundesebene mit abstimmen lieÃ. Man hat argumentiert, dass die republikanische Tradition diese Verzögerung sogar mitverursacht hat, zum Beispiel weil sie ein bestimmtes, auch männlich-militärisch geprägtes Bürgerideal kultivierte.
In wenigen Nachläufern setzt sich diese Kette bis in die Gegenwart fort, in der sich die politisch autoritären und kulturell patriarchalischen Arabischen Emirate und andere Golfstaaten erst zögernd dem Frauenwahlrecht (oder überhaupt der Demokratie) öffnen. Doch auch wo das Frauenwahlrecht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeführt wurde, blieben viele Fragen der staatsbürgerlichen und sozialen Gleichberechtigung offen. So wurde das Thema «Frauen und Demokratie» seit den 1960er
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