Was ist Demokratie
und das Frauenwahlrecht in dieselbe gröÃere Bewegung der Inklusion und Universalisierung der Demokratie.
Die Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts hatten Frauen auf neue Weise als Bürgerinnen angesprochen und ihnen eine politische Rolle zugewiesen, die sich von derjenigen der Männer aber doch deutlich unterschied. Frauen galten als Symbol von Freiheit und Republik wie die französische Gestalt der Marianne, oder ihr politischer Auftrag wurde als «republikanische Mutterschaft» definiert, als die Erziehung der Söhne zu aktiven und engagierten Bürgern wie in Amerika. Aber erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts formierte sich die moderne Frauenbewegung, in Europa (und besonders in Deutschland) zumal während der Revolution von 1848/49. Politische Gleichberechtigung, insbesondere das Wahlrecht, war dabei nur ein Ziel unter anderen und stand oft noch für mehrere Jahrzehnte im Schatten anderer Forderungen. Vielen kam dieses Ziel gar zu vermessen oder utopisch vor, oder sie plädierten bewusst für eine Politik der kleineren Schritte, die den Frauen überhaupt erst einmal einen Platz im öffentlichen Lebensichern sollte. Diesen Platz reklamierten Frauen häufig durch ihr Engagement in moralisch gefärbten Reformbewegungen, weil das ihrer natürlichen Bestimmung als Expertinnen für das Gefühl zu entsprechen schien: also im Abolitionismus gegen die Sklaverei, in der «sozialen Frage» von Armut und Industrieproletariat, und immer wieder in Temperenzvereinen. Aber solche Aktivitäten konnten die Erlangung des Stimmrechts beschleunigen. Auch gab es andere Räume der Politik, neben und vor dem Stimmrecht, die es zu erobern galt, zum Beispiel das Recht der politischen Organisation, der Mitgliedschaft in Vereinen und Parteien, das Frauen in Deutschland erst mit dem Vereinsgesetz von 1908 erhielten.
Mit welchen Argumenten setzten sich Frauen überhaupt für ihre politischen Rechte ein? Der Hinweis auf die fundamentale Gleichheit aller Menschen konnte sich auf das entsprechende Denken der radikalen Aufklärung im späten 18. Jahrhundert berufen, und im 20. Jahrhundert wurde das auch wieder zur entscheidenden Begründung â bis in die internationalen Rechtsdeklarationen wie die der Vereinten Nationen von 1948. Dazwischen aber setzte die Frauenbewegung auch an anderen Stellen den Hebel an. Sie verwies auf Erfahrungen der Geschichte, auch immer wieder auf praktische Gesichtspunkte der Nützlichkeit für das gröÃere Gemeinwohl. Der Vorstellung von prinzipiellen Unterschieden in den «Geschlechtscharakteren» folgend, wurde sogar die Verschiedenheit von Männern und Frauen zum Hebel für die Forderung nach der Repräsentation im Parlament. Denn nach der liberalen Theorie sollten die Anschauungen und Interessen des Volkes sich ja im Parlament abbilden. Wenn Frauen aber Geschöpfe eigener Art waren, konnten sie nicht von den Männern, als Ehemännern und Haushaltsvorständen, mitvertreten werden, wie es die Theorie der «virtuellen Repräsentation» behauptete. Auf diese Weise ergab sich eine Parallele zu den Forderungen anderer Gruppen, zumal der industriellen Arbeiterschaft, die ebenfalls für die parlamentarische Vertretung ihrer Interessen kämpfte. Insgesamt aber stand das Argument der natürlichen und staatsbürgerlichen Gleichheit im Vordergrund und setzte sich auch langfristig durch.
Um die Jahrhundertwende, als weit entfernt von Europa bereits das Frauenstimmrecht eingeführt wurde â in Neuseeland 1893, in Australien 1901, auch in einigen westlichen Staaten der USA â, erreichte die Frauenbewegung auf dem alten Kontinent ihren Höhepunkt und rückte die Wahlrechtsfrage zunehmend in den Mittelpunkt ihrer Reden,Schriften und Demonstrationen. In Deutschland existierte eine deutliche Kluft zwischen der sozialistischen und der bürgerlichen Frauenbewegung. Die sozialistische Frauenbewegung schrieb sich die politische, nicht nur soziale oder bildungsmäÃige Emanzipation früh auf die Fahne und, wie die SPD 1891, ins Erfurter Parteiprogramm. August Bebel lieferte mit seinem Buch «Die Frau und der Sozialismus», 1879 erstmals erschienen, einen politischen Bestseller des Kaiserreichs, und in der Generation danach prägten Frauen wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg einen schärferen Ton in der Geschlechterfrage ebenso wie in der allgemeinen Richtung der Partei. Die
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