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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Linksliberalismus zur Sozialdemokratie wechselte, damit nicht im marxistischen Sinne die «bürgerliche» Demokratie,sondern hielt eher an älteren Entwürfen radikal-direkter Demokratie aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert fest. Auch das Prinzip der «Selbsthilfe», das die Arbeiter auf vielen Wegen praktisch zu realisieren suchten – in der Parteiarbeit, aber auch in Konsum- oder Wohnungsgenossenschaften –, war eine demokratische Innovation, die der Praxis von sozialen Bewegungen und Selbsthilfegruppen im späten 20. Jahrhundert entscheidend vorarbeitete.
    So ist die «soziale Demokratie» mehrfach als eine Erweiterung älterer Ideen von Demokratie zu verstehen. Sie war das im Sinne einer sozialen Universalisierung, also des gleichberechtigten Einschlusses der Arbeiter, und damit letztlich aller Staatsbürger (und Staatsbürgerinnen) in die Demokratie. Sie machte aber auch darauf aufmerksam, dass Demokratie in einer ungleichen Gesellschaft des sozialen Ausgleichs und der sozialen Rechte bedarf. Und obwohl Karl Marx (im Unterschied zur Hauptströmung der Sozialdemokratie) nie ein konkretes, geschweige denn positives Verhältnis zur Demokratie als Regierungsform gewann, wirkt ein Teil seiner utopischen Vision bis in einen weiteren Demokratiebegriff der Gegenwart fort: nämlich die Hoffnung auf eine selbstbestimmte, autonome Lebensführung, jenseits eines Zustands der «Entfremdung». Die Praxis der frühen Arbeiterbewegung setzte mehr auf Bildung als auf Revolution, um ihrer Vorstellung von ganzheitlicher Persönlichkeit (wie wir heute sagen würden) als Voraussetzung von Demokratie nahezukommen; als Teil von Demokratie als Lebensform.
10 Der Sozialstaat:
Sicherheit, Inklusion, Verwirklichungschancen
    Der Ursprung des modernen Sozialstaates liegt in der gleichen «sozialen Frage» der Industrialisierung, die auch der Arbeiterbewegung und sozialen Demokratie ihre Impulse gab. Während die Arbeiter zur Selbsthilfe und Selbstorganisation griffen, engagierten sich auch bürgerliche Reformer im Angesicht von Not und Elend der «unteren Stände», besonders seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Religiöse und karitative Vereine übernahmen das neue Prinzip der bürgerlichen Assoziation und ergänzten damit die herkömmlichen, oft kommunal und korporativ (z.B. handwerklich-zünftisch) organisierten Formen der Armenunterstützung: Diese hatten nämlich den Arbeiterfamilien in den großen Städten, aber auch einer zunehmenden Landarmut wenig zubieten. Doch auch der Staat war Adressat von Klagen – Bettina von Arnim nannte ihre 1843 erschienene Sozialkritik nicht zufällig «Dies Buch gehört dem König»! England reformierte seine Armenpolitik 1834, zwei Jahre nach der ersten Wahlrechtsreform. Darin kam eine neue liberale Sensibilität gegenüber sozialen Notlagen zum Ausdruck, aber auch ein Grundzug der Kontrolle und Disziplinierung. Denn man wollte die Armen jetzt bevorzugt in «Arbeitshäusern» unterbringen, statt sie in ihrem Haushalt zu unterstützen.
    Die enge Verbindung von Sozialstaat und Demokratie ist im 19. Jahrhundert vorbereitet worden, hat sich aber hauptsächlich im 20. Jahrhundert, eigentlich sogar erst nach 1945, voll herausgebildet. So ist das Sozialstaatsprinzip im Grundgesetz von 1949 gleich doppelt verankert worden, in der Bestimmung der Bundesrepublik Deutschland als «demokratischer und sozialer Bundesstaat» in Art. 20 und in Art. 28, der die Länder dazu verpflichtet, «den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates» zu entsprechen. Indirekt aber verweist diese Hervorhebung der sozialen Verpflichtung der Demokratie auf die vordemokratischen Ursprünge des deutschen Sozialstaates, denn in ihr setzt sich eine ältere deutsche Auffassung fort, nach der soziale Fürsorge eine wesentliche Aufgabe der politischen Obrigkeit sei. In der Frühen Neuzeit bezeichnete man solche Politik als «gute Policey», womit ein breites Spektrum staatlichen Handelns gegenüber den Untertanen gemeint war, das wir heute der Innen- und Sozialpolitik zurechnen würden. Eine zweite Wurzel der modernen Sozial- und Armenpolitik liegt freilich in den Kommunen, denn die Städte und Gemeinden, später auch die Landkreise hatten seit dem späten Mittelalter in der Regel für ihre in Not geratenen ärmeren

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