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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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sollte nicht nur effektiver, sondern auch gerechter und demokratischer zugehen. Damit knüpften sie an die Populisten, ihre Vorgänger im späten 19. Jahrhundert, an, die sich vor allem im Süden undWesten der USA für die Unabhängigkeit kleiner Farmer von den großen Handels- und Produktionskartellen eingesetzt hatten – und für die direkte Mitwirkung des Volkes angesichts zunehmender Zentralisierung und Bürokratisierung. In den noch relativ neu besiedelten westlichen Bundesstaaten saß die Abneigung gegen das Establishment der Ostküste besonders tief, und gleichzeitig war ihr politisches System noch flexibel. Deshalb hatten die direkt-demokratischen Reformen des frühen 20. Jahrhunderts hier am meisten Erfolg, und bis heute ist Kalifornien die Hochburg der direkten Demokratie in den USA. Neben die Abwahl von Politikern traten Volksbegehren und Volksabstimmung: «Initiative, Referendum, Recall» werden seitdem oft in einem Atemzug genannt. Auf Bundesebene machte ein Verfassungszusatz 1913 die Direktwahl der Senatoren in Washington möglich, die bis dahin von den einzelstaatlichen Parlamenten entsandt worden waren. Und der gesamte politische Prozess begann sich mit der etwa gleichzeitigen Einführung der «Vorwahlen» im Präsidentschaftswahlkampf zur Basis hin zu öffnen. Zunächst führten allerdings nur wenige Staaten, wiederum vor allem im Westen, diese «Primaries» ein, und ihre Ergebnisse hatten lange nur empfehlenden, nicht bindenden Charakter.
    Direkte Demokratie kann also nicht nur auf die staatliche Ordnung angewendet werden, sondern auch auf innerparteiliche Willensbildungsprozesse. Hier richtet sie sich ebenfalls gegen den repräsentativen «Stufenbau» der Delegation – vom Ortsverband bis zum Bundesvorstand –, der den Willen der Parteibasis bei wichtigen Personalentscheidungen kaum mehr erkennbar werden lässt. In Deutschland haben die «Grünen» seit den 1980er Jahren Gegenmodelle entwickelt, die auch die etablierten Parteien zunehmend herausgefordert haben, zumal angesichts von Mitgliederschwund und Überalterung. Die SPD brachte 2011 eine Parteireform auf den Weg, nach der die Mitglieder größeren Einfluss auf die Bestimmung des Kanzlerkandidaten haben sollten. Vor einer Beteiligung von Nichtmitgliedern nach amerikanischem Vorbild schreckte die Partei, vor allem ihre mittlere Ebene, jedoch zurück. In den USA selber dagegen spielten Öffnung und Ausbau der innerparteilichen Vorwahlen zur Präsidentschaft eine zentrale Rolle in der neuen direktdemokratischen Konjunktur seit den 70er Jahren. Erst in diesem Jahrzehnt nämlich etablierten sich – zuerst bei den Demokraten, die Republikaner zogen nach – die heute so vertrauten Mechanismen der «Primaries» und der «Caucuses», also der Parteiversammlungen, in allen Staaten, erlangten Verbindlichkeit für die formelle Entscheidungder Parteitage im Sommer vor der Wahl und erzeugten damit ein neues mediales Interesse, aber auch neue Formen der politischen Mobilisierung an der Basis.
    Etwa zur selben Zeit bewies eine Entscheidung in Kalifornien die Macht der Bürger in der direkten Demokratie – und steht bis heute zugleich für ihre Ambivalenzen: In der Abstimmung über die sogenannte «Proposition 13» stimmte eine große Mehrheit der Kalifornier für einen Verfassungszusatz, der die Höhe der Grundsteuer absenkte und begrenzte. Das löste nicht nur eine förmliche Welle des Bürgerprotests gegen vermeintlich zu hohe Steuern aus, sondern brachte Budgets ins Ungleichgewicht und beschränkte die Handlungsfähigkeit des Staates. Wichtiger noch, Abstimmungsinitiativen wie diese begrenzten im Effekt nicht so sehr die Macht der Eliten zugunsten des Volkes, sondern wurden zum Vehikel gut organisierter Sonderinteressen, die über materielle Ressourcen zur Durchführung einer solchen Kampagne verfügten, etwa um Unterschriftensammler zur Erreichung des nötigen Quorums zu bezahlen.
    In Europa kam die Diskussion über eine Erweiterung direkter Demokratie erst in den 1990er Jahren richtig in Fahrt. Mehrere Ursachen lassen sich benennen: Die Sorge um die Verführbarkeit des Volkes, aus der die Nachkriegsdemokratie strikt repräsentativ gestaltet worden war – besonders in Deutschland –, ließ im Laufe der Zeit nach. Populistische Anfälligkeit zeigte sich sogar eher in der Wahldemokratie, mit

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