Was ist Demokratie
oben, aus der Zentrale eingesetzt, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt, und der Dreiklang von Legislative, Exekutive und Judikative wiederholt sich auf allen Stufen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Demokratie der Europäischen Union häufig in einem kritischen Licht, weil sie nur über eine schwache parlamentarische Legislative verfügt.
Müssen es immer genau drei Gewalten sein, in die sich demokratische Herrschaft teilt? Wie in vielen anderen Bereichen moderner Kultur schwingen bei der Dreierformel Mythen und das christliche Konzept der Dreieinigkeit Gottes unverkennbar mit. Aber es hat auch Versuche gegeben, die Liste zu erweitern. Schon im 18. Jahrhundert erkannte man in Frankreich und England in der Presse eine «vierte Gewalt» oder einen «vierten Stand». Im späteren 20. Jahrhundert erschien diese Sichtweise erst recht plausibel: Die Massenmedien sind demnach vor allem in der Zeit des Radios und Fernsehens so einflussreich geworden, so prägend für Meinungen, Stimmungen und Entscheidungen gerade in einer Demokratie, dass man sie als eine vierte Säule bezeichnen müsse. Das kann positiv und emphatisch gemeint sein, im Sinne einer wirkungsvollen Kontrollinstanz, wie sie etwa der investigative Journalismus bietet. Es kann aber auch als Kritik an der AnmaÃung einer verfassungsmäÃig nicht vorgesehenen Rolle gemeint sein. Der Lobbyismus ist vor kurzem eine «fünfte Gewalt» genannt worden, auch wenn der Einfluss organisierter Interessen auf Parlament und Politik schon viel älter ist.
Heute ist die Gewaltenteilung so etwas wie ein Urgestein der Demokratie, über das neues Gras gewachsen ist. Sie bleibt fundamental wichtig auch in entwickelten Demokratien. Und sie bietet einen MaÃstab, um die niemals stabile Balance der drei Teilgewalten kritisch zu messen: Hat die Legislative, das Parlament, noch genügend Eigenständigkeit gegenüber der Regierung? Ist der Bedeutungsgewinn von Gerichten, den man in den letzten Jahrzehnten besonders in Deutschland beobachten kann, noch mit Balance und Trennung vereinbar, oder greift das Bundesverfassungsgericht in die gesetzgebende Gewalt über? Erst recht bildet die Gewaltenteilung dieses Fundament dort, wo es keine oder nur eine «defekte» Demokratie gibt. In Diktaturen sind Parlamente meistens Scheinveranstaltungen zur Akklamation der Regierung. In autoritären Regimen, oder in deren Transformation zur Demokratie, steht die Etablierung unabhängiger Justiz ganz oben auf der Tagesordnung. Zugleich aber ist die Gewaltenteilung längst zur unbefragten Normalität geworden. Wichtiger noch, ihre klassische Trias hat an Strahlkraft und Definitionsmacht für die Demokratie verloren, weil neue Formen der demokratischen Artikulation neben sie getreten sind, die Landschaft der Demokratie also pluraler und heterogener geworden ist.
5 Wahlen in der Demokratie:
Grundrecht und Konfliktkultur
Ohne Wahlen keine Demokratie? Wenn die Teilhabe an politischer Führung nicht auf Geburt oder Gewalt beruht, oder auf anderen Mechanismen der Selbstrekrutierung aus einer wie auch immer (geblütsmäÃig, ethnisch) definierten Herkunftselite; wenn auÃerdem ihre Dauer auf einige Jahre begrenzt sein soll statt auf Lebenszeit zu gelten: dann muss es jedenfalls Mechanismen der fairen Auswahl geben. Denn es gibt mehr Berechtigte für politische Ãmter â in der Demokratie alle Bürgerinnen und Bürger â als Plätze, wenn auch nur auf Zeit, zur Verfügung stehen. Deshalb muss man noch nicht unbedingt wählen. In der griechischen Demokratie wurden die Ãmter ausgelost, und tatsächlich ist ein Losverfahren unter demokratischen Gesichtspunkten ideal, weil es die Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger unterstreicht. Ãmter werden mit dem Los buchstäblich ohne Ansehen der Person vergeben. Dahinter stand die Vorstellung, die Demokratie sei eine Herrschaft der Gesetze, nicht wie die Monarchie oder Aristokratie von bestimmten Personen; prinzipiell müsse es also gleichgültig sein, wer innerhalb der gesetzlichen Ordnung bestimmte Aufgaben auf Zeit übernimmt. Noch Montesquieu argumentierte im «Geist der Gesetze» in dieser antiken Tradition, das Losverfahren gehöre ebenso zur Demokratie wie die Auswahl zur Aristokratie, die wörtlich ja die Herrschaft der «Besten» ist. Aber auch ganz praktische Erfahrungen sprachen in früheren Zeiten,
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