Was ist Demokratie
eine lange Geschichte, stehen Konflikte und auch Ambivalenzen der Demokratie. Die Freiheit der Wahl meint historisch vor allem, dass die Stimmabgabe nicht durch Druck von auÃen beeinflusst wird, durch offene oder verdeckte Mechanismen der Kontrolle, ob die Stimme denn auch im «richtigen» Sinne abgegeben wurde. Freiheit der Wahl ist aber auch Wahlfreiheit, das heiÃt, die echte Auswahl unter mehreren Möglichkeiten. Wo man nur Ja zu einem einzigen Kandidaten sagen kann, ist Freiheit der Wahl nicht gegeben. SchlieÃlich lässt sich die «freie» Wahl auch so interpretieren, dass es jedem freisteht, ob er überhaupt an der Wahl teilnimmt. Nur in ganz wenigen Demokratien gibt es eine Wahlpflicht; ganz überwiegend macht es sich die Demokratie zum Prinzip, die aktive Teilnahme an ihr nicht zu erzwingen, sondern den Bürgerinnen und Bürgern zu überlassen.
Die Gleichheit der Wahl scheint heute ebenfalls so natürlich, dass man sich ihr Gegenteil in Erinnerung rufen muss. Wieder kann man drei Aspekte unterscheiden. Erstens soll das Wahlrecht, soll die Stimme aller politisch Berechtigten gleich viel wert sein: die Stimme eines Adligen so viel wie die eines Handwerkers, die eines Reichen so viel wie die Stimme eines Armen. In Deutschland war das lange Zeit nicht der Fall, besonders in seinem gröÃten Staat PreuÃen, wo der Landtag zwischen 1850 und 1918 nach einem «Dreiklassenwahlrecht» gewählt wurde. Auf der Grundlage der Steuerkraft konnte die Stimme eines Fabrikbesitzers oder GroÃkaufmanns dabei so viel zählen wie die von hundert Arbeitern. Zweitens geht es um die Gleichheit im Sinne des Einschlusses aller Staatsbürger in das Wahlrecht. Dieser Kampf wurde in Europa vor allem um die Einführung des Frauenstimmrechts geführt. Auch dieses Ziel war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in den meistenDemokratien erreicht. Langwieriger zog sich zum Beispiel in den USA die Durchsetzung des Wahlrechts für die schwarzen Amerikaner im Süden hin, bis in die 1960er Jahre. Und in einem dritten Sinne ist die Gleichheit der Wahl manchmal immer noch umstritten, auch in der politischen Theorie. Dabei geht es um das gleiche Repräsentationsgewicht der Stimmen: Müssen alle Wahlkreise möglichst genau gleich viele Einwohner (bzw. Wähler) haben, damit jede Stimme die gleiche Hebelwirkung für die Wahl eines Abgeordneten hat? In England gab es im 19. Jahrhundert die berüchtigten «rotten boroughs»: ländliche Wahlbezirke, die seit langem existierten, aber kaum noch bevölkert waren, jedenfalls im Vergleich mit den explodierenden neuen Industriestädten. In vielen Demokratien, so auch in Deutschland und den USA, werden deshalb die Wahlkreise neu eingeteilt, wenn sich die Bevölkerung verschoben hat, um diese Gleichheit wiederherzustellen.
Wahlen sollen auch geheim sein: Das hängt unmittelbar mit der Freiheit der Wahl zusammen, mit der Freiheit von Beeinflussung und von nachträglichen Sanktionen. Deshalb gehen wir in die Wahlkabine und stecken den Stimmzettel verdeckt in die Urne, ohne dass er nachträglich einem bestimmten Wähler zugeordnet werden kann. Stimmbezirke dürfen deshalb nicht zu klein sein, sonst könnte man eine einzelne Stimme, die für eine kleine oder eine Oppositionspartei abgegeben wurde, informell doch zuordnen, weil man die Menschen in der Nachbarschaft oder einem Dorf kennt. Das Prinzip der geheimen Wahl musste sich im 19. Jahrhundert erst mühsam durchsetzen; teils hielt man es nicht für nötig, teils war die offene Stimmabgabe ein zu verlockendes Mittel der politischen und sozialen Kontrolle. Manche plädierten auch, wie Montesquieu, gerade deshalb prinzipiell für eine offene Wahl, weil doch die Demokratie auf Ãffentlichkeit statt auf Geheimnis beruhe. Das würde heute niemand mehr sagen. Und doch kann man fragen, ob das Geheimnis, das viele Menschen um ihre Wahlentscheidung und ihr politisches Bekenntnis machen, als sei es Teil der innersten Intimsphäre, dem Geist von Demokratie und diskursiver Ãffentlichkeit förderlich ist.
SchlieÃlich das Prinzip der direkten oder unmittelbaren Wahl. Es erinnert erneut an eine Schicht früherer Demokratie, die seit dem frühen 20. Jahrhundert kaum noch eine Rolle spielt. Die ersten «Direktwahlen» zum Europäischen Parlament im Jahre 1979 sind vielen Ãlteren noch gut in Erinnerung. Bis dahin wurden die Europa-Abgeordneten
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