Was ist Demokratie
indirekt bestimmt: nämlich nicht von den Bürgerinnen undBürgern an der Wahlurne, sondern von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten (die wiederum demokratisch gewählt waren). Auch wenn Demokratie mit groÃer Bevölkerung und auf groÃer Fläche praktiziert wird, soll die Stimmabgabe doch unmittelbar zu Auswahl des Amts- oder Mandatsträgers â etwa eines Präsidenten oder einer Abgeordneten â führen, ohne dass Zwischenwähler zum Zuge kommen. Genau das war in Deutschland im 19.Jahrhundert lange Zeit der Fall: Die (männlichen) Bürger wählten nicht direkt die Abgeordneten, sondern «Wahlmänner», die sich dann später zur Wahl des Abgeordneten trafen. In der Regel wusste man vorher, welche Abgeordneten für welche Partei kandidierten, und die Wahlmänner fühlten sich daran meist gebunden. Aber das konnte auch anders sein, und vor allem begünstigte dieses Prinzip, bei dem die Wahlmänner ihrerseits oft lokale Amtsträger oder Honoratioren waren â der Bürgermeister, der Kaufmann, der Lehrer â, die Ausnutzung von Abhängigkeit. In den USA wurden bis 1911 die Senatoren indirekt, nämlich von den Parlamenten ihrer Staaten, nach Washington entsandt. Und wie ein Fossil überlebt das indirekte Verfahren dort sogar in der weltweit einflussreichsten demokratischen Wahl: der des amerikanischen Präsidenten, der noch immer formell erst durch ein Wahlmännergremium, das «Electoral College», bestimmt wird.
Geläufiger sind andere Unterscheidungen geblieben: unterschiedliche Wahlsysteme, bei denen man unmöglich sagen kann, welches «mehr» oder «weniger» demokratisch ist. Bei der Wahl einzelner Personen in exekutive Ãmter, also etwa bei der direkten Volkswahl eines Staatspräsidenten, ist das Verfahren, mit der amerikanischen Einschränkung, ziemlich eindeutig: Eine groÃe Zahl von Kandidaten mit mehr oder weniger fester Parteiunterstützung tritt an; gewählt ist, wer die absolute Mehrheit der abgegebenen (gültigen) Stimmen erhält. Erreicht kein Kandidat diese Marke von mehr als 50 Prozent, findet ein zweiter Wahlgang statt, oft im Abstand von zwei Wochen, an dem nur noch die beiden Erstplatzierten der ersten Runde teilnehmen können: So müssen sich die Kandidaten und Parteien im Vorfeld verständigen, und eine eindeutige Mehrheit ist sichergestellt. Nach diesem Muster wählten die Deutschen in der Weimarer Republik 1925 und 1932 ihren Reichspräsidenten, und so wird der Präsident der Fünften Französischen Republik bestimmt. Komplizierter ist es jedoch bei der Wahl von Parlamenten: Hier konkurrieren das Mehrheits- oder Personenwahlrecht einerseits, das Verhältniswahlrecht andererseits miteinander, und manchmal werdendie jeweiligen Vorzüge durch Mischung zu verbinden versucht, wie bei Bundestags- und Landtagswahlen in der Bundesrepublik.
Historisch ist die Frage nach dem Vorrang einfach zu beantworten. Frühe Parlamente repräsentierten die (berechtigte, stimmfähige) Bevölkerung in einem bestimmten Gebiet, die sich dafür «ihren» Abgeordneten wählte. Zur Auswahl standen also lokale Kandidaten, und wer von ihnen die Mehrheit der Stimmen, oder die meisten Stimmen (also die «relative Mehrheit») erhielt, zog ins Parlament ein. Die Minderheit unterliegt, wird aber am Ende doch durch den gewählten Abgeordneten repräsentiert, der eben nicht nur seine parteiliche Wähler- und Anhängerschaft, sondern den gesamten Bezirk, seine «constituency», vertritt. AuÃerdem werden, je gröÃer und heterogener das Land ist, hier die Kandidaten der einen, und anderswo die der anderen Partei erfolgreich sein, so dass sich die Minderheit eines Wahlbezirks zugleich durch Erfolg derselben Partei in einer anderen Region vertreten sehen kann. GroÃbritannien ist dafür das historisch wichtigste Beispiel. Bei der Unterhauswahl geht es um einzelne Wahlkreise, zu deren Eroberung bereits eine relative Mehrheit der Stimmen, also auch deutlich unter 50 Prozent, genügt. «First past the post» nennen die Engländer das â gewonnen hat, wer mit Vorsprung durchs Ziel geht. Wer im eher konservativen Südengland die Labour Party wählt, hat wenig Chancen, seinen Kandidaten im Unterhaus zu sehen. Aber er kann sich durch den Erfolg der eigenen Partei in Nordengland und Schottland mit vertreten sehen, was die Parteirichtung betrifft. Dieses
Weitere Kostenlose Bücher