Was ist Demokratie
Gesetz. Die revolutionäre Verkündung der Verfassung gewann oft, über ihren Inhalt hinaus, eine besondere Bedeutung. Sie wurde geradezu inszeniert, mit deklaratorischem Pathos. Das ist die «performative» Dimension von Verfassung, ihr Vollzug als eine hochsymbolische politische Handlung, als Gründungsmythos von Demokratien. Auch autoritäre Regime oder Diktaturen haben öfters Verfassungen; die DDR hatte im Laufe ihrer Geschichte sogar drei. Aber sie spielen dort kaum eine öffentliche Rolle, oder sie werden,wenn sie schon vorher bestanden, von den neuen Machthabern stillschweigend in den Ruhestand versetzt.
In Deutschland hat man besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um geschriebene Verfassungen und damit um einen solchen Gründungsmythos heftig gerungen, zumal in der Revolution von 1848/49. Doch bewegte sich das Streben nach «Verfassung» zunächst in einer Schwebelage, in der eine Konstitution nicht unmittelbar gemeint sein musste. Für die Gegner der absoluten Monarchie, für aufgeklärte Adlige, für bürgerliche Liberale bedeutete Verfassung eine Staatsordnung, in der das Volk durch Repräsentanten Mitspracherechte hatte, also so etwas wie eine eingehegte Monarchie. Genau in diesem Sinne traf der Freiherr vom Stein im April 1806 seine berühmte Feststellung: «Der preuÃische Staat hat keine Staatsverfassung, die oberste Gewalt ist nicht zwischen dem Oberhaupt und den Stellvertretern der Nation geteilt.» Deshalb blieb in den folgenden anderthalb Jahrzehnten der Reformzeit auch unklar, ob mit verschiedenen «Verfassungsversprechen» des Königs tatsächlich eine schriftlich fixierte Konstitution gemeint sein sollte oder eher die Einrichtung eines preuÃischen Parlamentes. Die Tendenz ging immer mehr zu dem schriftlichen Staatsgrundgesetz, vor allem seit den sogenannten frühkonstitutionellen Verfassungen der süddeutschen Staaten, die seit 1818/19 in Bayern, Baden und Württemberg galten. Aber die doppelte Bedeutung von Verfassungsurkunde einerseits und einer Staatsform mit Rechten des Volkes andererseits schwang noch lange mit, wenn Liberale eine Verfassung forderten. Auch das unterstreicht den Zusammenhang von Verfassung und Demokratie.
Für Inhalt und Aufbau von Verfassungen bildete sich schon seit den klassischen Revolutionen ein mehr oder weniger festes Schema heraus. In einer vorangestellten Präambel, wie sie auch das Grundgesetz kennt (und davor die Weimarer Verfassung), wird der Akt der Verfassungsgebung begründet: aus einer historischen Situation des Umbruchs; in der Berufung auf die Volkssouveränität; oft auch, um die besondere Qualität der Verfassung zu unterstreichen, mit einem Gottesbezug: «Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen» heiÃt das im Grundgesetz. Darin kommt weniger eine religiöse Bindung zum Ausdruck als vielmehr eine Emphase der Demokratie, so etwas wie die demokratische Heiligkeit der Verfassung. Im Hauptteil der Verfassung wird, sofern das in der Präambel nicht schon geschehen ist, die Quelle der Souveränität definiert: das demokratische (nicht das ethnische, «völkische») Volk.
Ãberwiegend geht es dann um «technische» Regelungen: einzelne Organe des Staates bzw. der demokratischen Souveränität, damit auch die verschiedenen Zweige der Gewaltenteilung, werden eingeführt, ihre Wahl und ihre Kompetenzen geklärt. Das geschieht häufig, auch in der amerikanischen Verfassung und im deutschen Grundgesetz, in «Artikeln», nicht in Paragraphen. Mit dieser Tradition betont man schon seit vielen Jahrhunderten den besonderen, übergesetzlichen und deklaratorischen Charakter der Verfassung. Seit dem 18. Jahrhundert gehört auch ein Grundrechteteil meistens zur Verfassung dazu. SchlieÃlich finden sich häufig besondere Bestimmungen, ob und wie die Verfassung geändert, oder durch eine neue ersetzt werden kann. Einfache Mehrheitsbeschlüsse des Parlaments genügen dafür nicht. Die amerikanische Verfassung gilt sogar als schlechterdings unveränderbar. Sie kann nur durch besondere Zusätze, die «Amendments», modifiziert werden, und selbst diese Zusätze verschwinden nicht wieder, wenn sie überholt sind, sondern müssen durch einen neuen Zusatz aufgehoben werden. So finden sich in jedem Abdruck der amerikanischen Bundesverfassung bis heute das Alkoholverbot der Prohibition von 1919
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