Was ist koscher - Jüdischer Glaube
gesprochen, auch der Kiddusch darf nicht fehlen. Es wird gesungen und viel er-zählt und erklärt. Zu Beginn des Abends wird der Jüngste in der Versammlung die »Vier Fragen« stellen, die »Ma Nishta-na«. Er fragt: Was ist der Unterschied zwischen diesen zwei Nächten. In allen anderen Nächten essen wir Chametz und Mazza, heute aber nur Mazza, in allen anderen Nächten essen wir alle Kräuter, in dieser Nacht nur biĴ ere Kräuter, in allen anderen Nächten tauchen wir nur ein einziges Mal ein, in dieser Nacht aber zweimal (zweimal werden rituelle Speisen in Salzwasser getaucht), und in allen anderen Nächten essen wir sitzend oder angelehnt, in dieser Nacht aber lehnen wir alle uns an (in der Antike war es ein Zeichen der freien Menschen, angelehnt oder sogar im Liegen zu essen. Am Sedertisch ist es üblich, sich an die Rücklehne des Stuhles ein Kissen zu legen, ganz bequem eben).
Nun erzählen der Vater und die FestgemeinschaĞ die Geschichte vom Auszug aus Ägypten. Wenn der erste Teil der Haggada vorgetragen ist, wenn die meisten zeremoniellen Speisen verzehrt sind, dann beginnt das eigentliche Dinner.
Danach setzt man die Lesung der Haggada fort, es werden Dankgebete, das Tischgebet und fröhlich gereimte, metaphorische Lieder gesungen. So klingt der Sederabend schließlich aus. In manchen Familien dauert dieser Abend fünf Stunden und länger. Pessach ist sicher das schönste jüdische Familien-fest.
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Ein Sederabend, gilt im Profanen dann als besonders gelungen, wenn die Mazzeknödel, die die Hausfrau für die Hühnersuppe gemacht hat, besonders locker und leicht sind.
Im religiösen Sinne ist der Sederabend dann richtig gelaufen, wenn es dem Familienoberhaupt gelungen ist, seinen Kindern und all den anderen Anwesenden das Gefühl zu vermiĴ eln, dass der Auszug aus Ägypten jetzt, in diesem Augenblick staĴ fi ndet. GoĴ reĴ et jede Generation aufs Neue aus der Sklaverei. Auch wir waren damals, beim Auszug aus Ägypten, sozusagen schon dabei, unsere Seelen zumindest.
Das Wunder der Befreiung ist ein Wunder, das jede Generation aufs Neue für sich selbst erfahren soll. Die Befreiung ist gegenwärtig. Dann, und nur dann, ist das Pessachfest richtig gefeiert worden.
Ich habe es eingangs bereits angedeutet, Pessach war viele Jahrhunderte lang eine gefährliche Zeit in den christlichen Ländern. Die »Blutschuld« war ein wirklich schlimmes Beispiel für den Judenhass der Kirche. Einer der berühmtesten Fälle war der des Simon von Trient, eines kleinen dreij ährigen Jungen, der an Gründonnerstag im Jahr 1475 verschwand. Ein Jude fand den Jungen tot vor seinem Haus und meldete das brav und ordentlich. Dank der AuĢ etzung des Pöbels durch einen Franziskanermönch wurden schließlich in einem sehr zweifelhaĞ en Gerichtsverfahren mehr als ein Dutzend Juden zum Tode verurteilt, der Rest der Gemeinde wurde aus der Stadt verbannt. Die Reliquien des Kindes wurden heilig gehalten und machten Trient zum Wallfahrtsort, und jener anti-jüdische Mönch wurde selig gesprochen.
Die katholische Kirche hat diesen Fall übrigens erst sehr spät revidiert. Nein, nicht im 18., nicht im 19., sondern erst im 20. Jahrhundert, im Jahr 1965!
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Pessach war auch eine gefährliche Zeit, weil der jüdische Feiertag fast zeitgleich mit dem Osterfest, also der Passionsfeier, zusammenfi el. Das ist schließlich auch kein Wunder, denn der Sederabend ist nichts anderes als das »Abendmahl«, das Jesus mit seinen Jüngeren feierte. Er soll nur eine kleine Ver-
änderung vorgenommen haben. Angeblich hat er die Mazza zu seinem Leib und den Wein zu seinem Blut erklärt. Davon sollten die Jünger essen und trinken.
Für uns Juden ist diese Veränderung der religiösen und rituellen Bedeutung der traditionellen Speisen unzulässig und falsch. Doch das ist in diesem Zusammenhang ganz unwichtig. Entscheidend ist, dass Jesus zu diesem Zeitpunkt verraten wurde und schließlich gekreuzigt. Da wir Juden aber angeblich die »GoĴ esmörder« sind und seinen Tod gefordert haben sollen, war die Oster- und Pessachzeit immer wieder der Moment, in dem sich die Menschen ihr christliches Mütchen am »Saujud« kühlen wollten. Pogrome in der Pessachzeit ge-hörten beinahe schon »mit zum Ritual«. Und natürlich haben wir auch diesen Horror versucht, mit Humor zu ertragen: Moritz triğ
sich am NachmiĴ ag mit seinem
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