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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Guggenbuehl
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beeinflussen. Sie haben ihr als einzelne Person wenig entgegenzusetzen, sondern folgen dem Gruppenskript. Zu Beginn eines Gruppenprozesses werden Rollen verteilt. Nach einer Phase des Abtastens, des Kennenlernens und der gegenseitigen Profilierung wird ein Schüler der Klassenclown, eine Schülerin zur Primadonna, eine andere zur Streberin und ein anderer Jugendlicher zum heimlichen Führer. Die Rollenverteilungen verhelfen der Schulklasse zu einer inneren Stabilität und einem spezifischen Profil. Wenn die einzelnen Schüler und Schülerinnen ein Profil haben, dann kann man sich in der Klasse besser orientieren und als Schüler seine Erwartungen, Bedürfnisse und Frustrationen abreagieren.
    Wenn nun ein Jugendlicher nach Abschluss der ersten Gruppenprozesse zur Klasse stößt, kann es Probleme geben. Die Klasse hat sich als Gruppe konstituiert, die Rollen sind verteilt, der Klassenstil ist definiert und die Ausschlusskriterien sind festgelegt. Der neueintretende Jugendliche passt zunächst nicht in die Gruppenstruktur. Er stört und bedroht die interne Stabilität. Der Neue muss gemobbt werden, wenn einem die Gruppe oder Klasse wichtig ist. Es kommt zu Ausschlusshandlungen und Strafaktionen gegen das gruppenfremde Element. »Eine solche Frisur gibt es bei uns nicht!«, deklarierten die drei Mädchen. Entschlossen schritten sie auf die neue Klassenkameradin zu, umkreisten sie und auf Zeichen hin rieben sie ihr den Kaugummi, den sie vorher imMund hatten, in die Haare. Durch die kurze Aktion sollte ihr klar gemacht werden, dass der Emo-Haarstil nicht toleriert wird. Die Neue hatte unwissentlich einen Code der Klasse verletzt und wurde deswegen gemobbt. Es war nicht etwa eine persönliche Eigenart, die den Gruppenausschluss auslöste, sondern der Zeitpunkt des Eintritts in die Klasse. Für Kleidungsexperimente gab es keinen freien Platz und keinen Spielraum mehr. Oft sind es nebensächliche Eigenschaften, die die Akzeptanz in der neuen Klasse erschweren. Man kommt aus dem falschen Stadtteil, hegt nicht anerkannte Interessen oder spricht den falschen Jargon. Der Neue wird gemobbt, weil der Zusammenhalt der Klasse gestört wird oder einzelne Jugendliche um ihre Position bangen.
    Mobbingdynamiken der ersten Kategorien sind beeinflussbar. Dank Interventionen Außenstehender und Arbeit mit der Klasse können die erstarrten Strukturen aufgebrochen und die Rollen neu verteilt werden. Hält man den Jugendlichen einen Spiegel der Dynamiken ihrer Klasse vor Augen und gibt ihnen eine Gelegenheit, sich neu zu definieren, kann es gelingen, dass ein Jugendlicher auch zu einem späteren Zeitpunkt akzeptiert wird. Wichtig ist jedoch, dass man den Jugendlichen seitens der Lehrerschaft Gespräche anbietet, in denen sie ihre Rollen und die Dynamiken in der Klasse reflektieren und bearbeiten können. Dies kann über Projekttage oder Interventionen geschehen, in denen man stundenweise mit der Schulklasse arbeitet. 76 Die Klasse ist oft damit überfordert, das Problem aus eigener Kraft zu lösen, sie braucht einen Anstoß oder Hilfe von außen. Sie möchte die interne Verteilung behalten oder hat Angst vor Destabilisierung, Rollen- und Freundschaftsverlust.
    Die zweite Kategorie von Mobbingopfern stellt uns vor größere Herausforderungen. Es handelt sich um Kinder oder Jugendliche, die von der Klasse gemieden, die systematisch schlecht gemacht werden oder über die ein Bannspruch gefälltwurde. Die Situation in der Schule wird für sie oft unerträglich. Sie wissen nie, ob wieder mal ihre Jacke bespuckt wird, ihre Tasche verschwindet und ob alle das Gesichte verziehen, wenn sie strecken. Verständlicherweise haben wir Mitleid mit ihnen und möchten ihnen gerne beistehen. Die unerträgliche Situation muss enden. Der ›bösen‹ Klasse sollen die Leviten gelesen werden, mit der Klasse bespricht man das Problem, fordert sie auf, ihren Klassenkameraden zu akzeptieren. Bei dieser Kategorie von Mobbingopfern gibt es jedoch ein Problem: Wir können die Reaktionen und Verhaltensweisen nachvollziehen.
    Der Junge hatte eine lange Mobbinggeschichte hinter sich. Schon in der Grundschule wurde er gemieden, hatte keine Freunde und wurde von Mitschülern gehänselt. Die Eltern führten die Aggressionen darauf zurück, dass sie als neu Zugezogene in der Gemeinde nicht akzeptiert wurden. Im Gymnasium setzte sich jedoch die Leidensgeschichte des Jungen fort. Auch dort wurde er abgelehnt. Man stellte ihm mit dem Fahrrad nach, überholte ihn und spuckte ihm

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