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Was ist mit unseren Jungs los

Was ist mit unseren Jungs los

Titel: Was ist mit unseren Jungs los Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allan Guggenbuehl
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auf ihn zu lenken, dann stellen sich die Jugendlichen auf das Kollektiv ein, ohne dass sich individuelle Differenzen manifestieren. Die Klasse oder Schule erlebt sich als Gemeinschaft in der Ausrichtung auf die Lehrer und muss sich nicht über Teamarbeit, Gruppenarbeiten oder individuelle Arbeit selber definieren. Die halb-chaotische Qualität, die die Heterogenität der Schule zur Folge hat, verlangt auch nach einer kollektiven Disziplinierung durch eine erwachsene Leitperson und nicht nur nach einem Bündel von individuellen Förderungsmaßnahmen.
    »Wir sind eine Gemeinschaft und helfen einander!« »Wir empfinden die Vielfalt der Persönlichkeiten als Reichtum!« »Wir pflegen eine offene Kommunikation!« Liest man die Leitsätze von Schulen, dann kann es einen schaudern. Sicher sind sie ehrlich gemeint, doch ihre idealtypische Ausrichtung ist problematisch. Natürlich wäre es schön, wenn man die Vielfalt der Persönlichkeiten als Reichtum empfinden würde und offen kommunizierte, doch dies entspricht nicht der Realität des Lebens. Die Schüler erleben im Kontakt zu Gleichaltrigen Differenzen und können oft nichts miteinander anfangen. Zudem erleben sie oft das Verhalten der Lehrer auch als unehrlich, fies und befremdend. Während wunderbare Leitsprüche aufgeschrieben werden, sind die Schüler und Schülerinnen mit den harten Realitäten des menschlichen Daseins konfrontiert. Sie merken, dass ihre Toleranz Grenzen hat, dass sie gewisse Mitschüler nie verstehen werden und Vertrauen nicht immer gut ist. Vielfach müssen sie sich schützen und von den anderen distanzieren, damit sie nicht verletzt oder aggressivwerden. Sie wissen, dass es sich bei den Leitsätzen um Propaganda handelt, der man aus taktischen Gründen zustimmt, die jedoch wenig mit dem Schulleben zu tun hat. Sie merken, dass in ihrer Schulklasse auch ausgegrenzt wird, man sich gegenseitig nicht versteht oder keine zwei Sekunden zusammen sein kann. Diese Erfahrungen stehen jedoch oft in Kontrast zu den pädagogischen Leitmottos und den offiziellen Zielen der Schule. Wenn die Erlebnisse der Schüler durch die Lehrerschaft tabuisiert werden, dann gibt es jedoch ein Problem. Die Ausrichtung auf Ideale führt zu einer Abspaltung der problematischen Verhaltensweisen und Erlebnisse. Die Schattenmotive werden nicht anerkannt; die Folge ist Neid, Eifersucht, Aggressionslust, Heuchelei oder Eitelkeit. Es gibt Menschen, die versteht man auch mit Hilfe des besten Kommunikationstrainings nicht, und oft ist es besser zu schweigen, als ›offen‹ zu kommunizieren. Schulen sind keine Gemeinschaften, in denen sich alle gern haben und stützen, sondern in denen auch Konkurrenz- und Hierarchiekämpfe stattfinden. Wenn diese Verhaltensweisen nicht als natürlich anerkannt werden, dann werden die Schüler und Schülerinnen in der Auseinandersetzung mit Schattenthemen allein gelassen. Gewalt und Mobbing können die Folgen sein. Die Schülerschaft bringt durch ihre Verhaltensweisen unterdrückte Themen wieder aufs Tapet. Statt also lebensfremde Leitsätze aufzustellen, sollte die Lehrerschaft die Situation, in der sich die Schüler und Schülerinnen befinden, ehrlich und offen umkreisen. »Ihr seid nun in der Schule, einer Zwangsgemeinschaft. Niemand hat euch gefragt, ob ihr die Schule besuchen wollt, doch die Gesellschaft will es so. Ihr werdet Freundschaften schließen, doch auch Kollegen antreffen, die ihr hasst, schlagen oder aus der Schule ausschließen möchtet. Ihre werdet uns Lehrer schätzen, doch zwischendurch auch ablehnen und als ungerecht empfinden. Ihr werdet schöne Erlebnisse haben, doch es wird auch viel gelogen, gestrittenwerden, und einige von euch werden Mühe haben, akzeptiert zu werden. Wir möchten jedoch nun versuchen, das Beste aus der Situation zu machen!« Eine solche Einführung wäre aus psychologischer Sicht vernünftiger als wunderbare Vorsätze.
Strafen
    »Gegen Jugendgewalt hilft nur eines: harte und unbedingte Strafen! Wenn die Jugendlichen wissen, dass Gewalttaten einen Gefängnisaufenthalt nach sich ziehen, dann werden sie es sich zweimal überlegen, bevor sie zuschlagen!« Der Ruf nach harten Strafen ist verständlich. Er drückt ein archaisches Bedürfnis nach Rache und Vergeltung aus. Viele Gewalttaten rufen in uns Entsetzen hervor. Es darf einfach nicht sein, dass ein vierzigjähriger Vater in einer U-Bahn von Jugendlichen vor seinem Sohn bewusstlos geschlagen wird, so dass er bleibende Schäden haben wird. Solche Vorfälle

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