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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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hätte ich seinen Kalauer nicht verstanden, und nehme einen großen Schluck. Ich bin jetzt wirklich besoffen und fahre immer so leicht aus meiner Stirn raus, verlasse meinen Kopf, überwinde die Grenzen, die mein Körper mir setzt. Ein typischer Weinrausch. Mit Bier und Schnaps kann ich eindeutig besser umgehen.
    Den letzten Schluck kippe ich in den Spucknapf, dann schenke ich mir nochmal von dem Hochgewächs ein. Es ist der billigste Wein von allen hier auf dem Tisch, und er hat mir bisher am besten geschmeckt.
    Â 
    Judith legt ihr Gesicht in ihre aufgestützten Hände. Auf ihrem Verlobungsring reflektiert das schwache Licht der Deckenlampe.
    Â»Tut mir leid, du willst nicht drüber reden, und es geht mich ja auch nichts an.«
    Â»Nee, ist schon okay. Das ist bei mir immer so. Was Festes hatte ich lange nicht. Es geht eine Weile gut, und dann wird mir langweilig.«
    Was rede ich da? Sie hat Recht, es geht sie gar nichts an.
    Â»Dir wird langweilig?«
    Â»Ja.«
    Â»Was genau wird dir langweilig: die Situation, deine Freundin?«
    Â»Ja, alles halt. Ich weiß nicht.«
    Was war das denn für eine Aussage? War es überhaupt eine Aussage?
    Â»Und das war schon immer so?«
    Â»Eigentlich ja.«
    Â»Immer?«
    Â»Eigentlich ja.«
    Â»Und uneigentlich?«

    Â»Na ja. Manchmal früher, manchmal später. Aber ist das nicht vielleicht auch normal?«
    Frage, Gegenfrage. Geniale Strategie.
    Â»Was?«, fragt Judith.
    Â»Dass einem irgendwann langweilig wird. Kann ja auch erst nach zwanzig Jahren sein, aber ich meine grundsätzlich.«
    Â»Ich weiß nicht«, sagt Judith, runzelt die Stirn und schiebt die Unterlippe hervor, als müsste sie darüber erst mal gründlich nachdenken.
    Â»Eigentlich logisch, oder?«
    Â»Ich weiß nicht«, sagt sie nochmal, aber das war schon ein anderes »Ich weiß nicht«, eher so ein suspektes Ach Quatsch -»Ich weiß nicht«.
    Â»Man will ja auch nicht jeden Tag dasselbe essen oder dieselbe Musik hören oder dasselbe … was weiß ich, Kleid tragen.«
    Â»Findest du, dass man das vergleichen kann?«
    Das ist eine berechtigte Frage. Ich spüre, wie ich an Boden verliere, also haue ich schnell einen raus. »Ich glaube nicht an Monogamie.«
    O nein, habe ich das wirklich gesagt?
    Â»Interessant«, sagt Judith.
    Flo verschränkt die Arme hinter dem Kopf, streckt sich in seinem Stuhl aus und sagt: »Tja, das nennt man dann wohl Bindungsangst!«
    Sekundenlang hängen diese furchtbaren Begriffe in der Luft über unseren Köpfen. Ich spiele mit den Fingern am Etikett einer Flasche herum. Es lässt sich an den Rändern ganz leicht abknibbeln, klebt dann aber unerwartet fest an der Flasche. Ein schneidendes Ratschgeräusch, als ich einen Streifen Papier von der Flasche reiße.
    Â»Ich weiß nicht«, sagt Judith schließlich. » Bindungsangst? Ist das nicht nur so ein Modebegriff für Hobbypsychologen?«
Ich drücke den Papierstreifen zu einer Kugel zusammen und rolle ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
    Â»Mag sein, Schatz«, sagt Flo und beugt sich zu ihr rüber. »Auf jeden Fall bin ich froh, dass wir zwei Hübschen nicht solche Sorgen haben!«
    Er nimmt sie in den Arm und zieht sie an sich. Judith wirkt überrascht und ein wenig hilflos. Dann küsst er sie auf den Mund. Sie erwidert den Kuss, macht sich dann aber frei von ihm und räumt die Gläser vom Tisch. Flos spontane öffentliche Liebesbekundung ist ihr sichtlich peinlich. Zu Recht, wenn man mich fragt.
    Das Thema ist damit jedenfalls beendet, und obwohl es mir gerade noch unangenehm war, von zwei frisch verlobten Fremden über mein Liebesleben ausgefragt zu werden, finde ich es fast ein bisschen schade.
    Â 
    Freundin, Nicht-Freundin, Beziehung, Affäre, Partnerin, Lebensabschnittsgefährtin, bessere Hälfte, Geliebte, Gespielin, Olle, Alte, Perle, Tusse, Schnitte, Schnecke, Ficke … was weiß ich!
    Muss man denn immer alles benennen?
    Muss denn immer alles eine genaue Bezeichnung haben?
    Kann man sich nicht einfach gut verstehen, ein bisschen Spaß miteinander haben, und fertig?
    Verena ist cool. Das wusste ich von der ersten Sekunde an. Auf meine Menschenkenntnis ist Verlass. Ich kann einen Satz mit einem Menschen wechseln und dir sagen, ob ich ihn mag oder nicht. Meistens reicht sogar ein Blick. Deswegen irritiert es mich ja auch so, dass das

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