Was kostet die Welt
sage ich: »Sehr gut.«
Flo erzählt, dass er seine Ohrlöcher von Yannik hat. Der hat nämlich ein Piercingstudio in Wittlich. Ein echt kultiges , nehme ich an.
»Piercer, das sind so was wie die Surflehrer der Städte, oder?«
Ganz gute Feststellung eigentlich. Allerdings habe ich das gerade laut gesagt, statt es nur zu denken. Alle am Tisch glotzen mich an. AuÃer Judith, die hockt immer noch da wie die neueste Kreation von Madame Tussaud.
Yannik hört auf zu kauen. Andrea scheint ihre Augen noch ein Stück weiter aufzureiÃen. Flo macht ein Geräusch wie »ts-ts-ts«.
»Typisch Meise«, sagt er entschuldigend und lacht kurz und schrill auf, als hätte man einen Spritzer Anzünder in einen vor sich hin lodernden Kohlegrill geschossen.
Yannik hebt die Schultern und schaut sich um. »Wenn er meint.«
»Wie meinst du denn das, Surflehrer der Städte ?«, fragt Andrea und fixiert mich mit ihren untertassengroÃen Pupillen.
Mir fällt nichts anderes ein, als zu sagen, dass es nur ein blöder Scherz sein sollte. Dass Piercer bestimmt ein interessanter Beruf ist. Dass ich selbst viele Piercer kenne, die alle total gut drauf sind.
Judith senkt ihren Kopf zu Boden. Wahrscheinlich kann jetzt nicht mal mehr sie ihre Gesichtszüge beherrschen.
»Ich gehe mir ein Bier holen. Will noch jemand was?«
Nein.
Nein.
Nein.
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Die Bar ist in einem Pavillon untergebracht, ein groÃes Rondell aus dunklem Holz mit aufgeklappten Fensterläden zu allen Seiten. Die Kellnerinnen dahinter sind blutjung. Keine älter als achtzehn, würde ich sagen. Vielleicht ist das so ein Jugendtreffding. Oder das Altherrenpublikum ist bei den jungen Dingern kauf- und saufwütiger, kann auch sein.
Die Mädchen tragen eine Art Uniform, schwarze Schürzen und rosa Spaghettiträger-Shirts, auf denen in Druckbuchstaben »HOT CHICAS - Wir haben uns umgesehen, wir sind die Geilsten hier« steht.
Ich weià nicht, worauf sich das »Hier« beziehen soll, aber die meisten der Hot Chicas sind höchst ungeil, und das Ungeilste
auf der Welt sind ungeile Leute, auf deren Kleidung steht, dass sie die Geilsten sind.
Bedruckte Kleidung, ohnehin ein Thema für sich. Lustige T-Shirts zum Beispiel. Ich brauche mich nur einmal umzudrehen und sehe gleich ein halbes Dutzend davon.
Wie oft am Tag schämt man sich wohl, wenn man mit einem Satz wie »Ich war als Kind schon scheiÃe« auf der Brust herumläuft? Wie fühlt man sich, wenn man vom Tod der Schwiegermutter erfährt, während man ein »Zickenbändiger«- oder »Bikini Inspektor«-T-Shirt trägt? Wenn man am Flughafen ein verlorenes Gepäckstück meldet und den Slogan »Ich Chef, du nix« auf der Brust stehen hat? Oder wenn man mit einer Alkoholvergiftung vom Notarzt abgeholt wird und ein »Saufen bis der Notarzt kommt«-T-Shirt trägt, wie der sechzehnjährige Boris-Becker-Klon da vorne?
Am Flughafen London-Heathrow sah ich beim Einchecken einen Mann, auf dessen Shirt »If you donât like the way I drive, stay of the sidewalk« stand. Das »off« hatte nur ein »f«. Der Mann sah furchtbar traurig aus. Das Deprimierendste auf der Welt ist ein traurig dreinschauender Mensch, der ein lustig gemeintes T-Shirt trägt.
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Bei einer der Hot Chicas bestelle ich ein Bier. Sie sagt, sie hätten hier nur Wein. Sie bückt sich, um eine laminierte Getränkekarte hervorzuholen, dabei schiebt sich ein roter Stringtanga aus ihrer schlabbrigen Stoffhose.
Ich denke an letzte Nacht. Wie erleichtert und glücklich ich war, dass Judith so was nicht trägt. Ãberhaupt, die letzte Nacht. Kommt mir mittlerweile völlig surreal vor. Wie wir gelacht haben. Geraucht. Uns angefasst.
War das wirklich dieselbe Person, die jetzt versteinert da vorne am Tisch sitzt?
Die Hot Chica starrt mich an. Ich starre auf die Karte. Es gibt zwölf verschiedene Weine, alle von Winzern aus Sörz. Sonst nur Wasser, das hier Sprudel heiÃt, und andere Softdrinks. Bier jedenfalls gibt es hier nicht.
»Nur drüben am Bierkarussell.«
Wo es Schnaps gibt, weià sie nicht, das hier jedenfalls ist der Weinausschank, und da gibt es Wein. Und weil ich keine Lust habe, mich jetzt nochmal woanders anzustellen, kaufe ich halt Wein.
»Den teuersten bitte.«
»Die kosten alle gleich viel. Sieben Euro die Flasche.«
Tatsächlich. Ich kaufe gleich zwei. Trockener
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