Was Liebe ist
Zigaretten und ein Feuerzeug heraus. Offenbar ist es ihr ganz recht, beim Hütchenspiel zuzuschauen und noch ein wenig emotionalen Stress von ihrem Streit mit Piet abzubauen. Sie saugt das Feuerzeugflämmchen tief in die Zigarettenspitze. Dass sie einem professionell durchgezogenen Betrug zusieht, scheint sie nicht sonderlich zu tangieren.
Für ihn ist diese Erfahrung nicht ganz so alltäglich. Natürlich gibt es auch in Frankfurt Hütchenspieler, aber dort, wo er sich üblicherweise aufhält, lassen sie sich nicht blicken. Das, was er gerade gesehen hat, packt ihn sogar in seiner Ehre als Jurist. Es reizt ihn, für Gerechtigkeit zu sorgen.
Der Hütchenspieler geht wieder in die Hocke. Nach drei Zügen hebt er eins der Schächtelchen kurz an, zeigt den Umstehenden die kleine weiße Kugel noch einmal, um zu demonstrieren: Alles geht mit rechten Dingen zu. Aber glaubt die Blonde das wirklich? Begreift sie tatsächlich nicht, dass gerade die Langsamkeit, mit der die Schachteln gemischt werden, der Köder ist?
Der Hütchenspieler richtet sich auf und sagt zu ihr: »Diesmal hast du gesehen, hast du gut aufgepasst, sehe ichin deinen Augen, diesmal weißt du, setzt du zweihundert, hast du Geld zurück und dazu noch mehr …«
Aber sie kann sich nicht entscheiden. Sie ist immer noch gelähmt von dem vorherigen Verlust. Ein paar Momente lang geschieht nichts, dann tritt ein anderer Zuschauer vor, setzt hundert Mark und deckt das mittlere Schächtelchen auf, das aber nach allem, was zu sehen war, unmöglich das mit dem Kügelchen sein kann. So ist es auch: Das Schächtelchen ist leer, und der Zuschauer geht ärgerlich fort – eine abgesprochene Niederlage, er gehört natürlich zum Team. Der Druck auf die Blonde soll erhöht werden: Jetzt braucht sie sich nur noch zwischen zwei Schächtelchen zu entscheiden – rechts oder links.
Der Hütchenspieler flüstert ihr Zuversicht ein, warm und voller Mitgefühl: »Kannst du immer noch setzen. Ich sehe, dass du weißt, wo Kugel ist, setzt du zweihundert, hast du Geld zurück und noch mehr, wirst du gewinnen, kann ich sehen.«
Vielleicht ist es Hypnose. Sie öffnet ihr Portemonnaie, legt zwei Hundertmarkscheine in die geöffnete Hand des Hütchenspielers und geht in die Hocke. Zoe bläst Rauch aus. Wie alle ist sie jetzt neugierig, was als Nächstes geschieht. Die Blonde hockt reglos vor der Matte, dann streckt sie zögernd die Hand aus. Er kann die bläulichen Venen unter der dünnen hellen Haut des Handrückens in der nächtlichen Straßenbeleuchtung erkennen. Er macht einen kleinen Schritt auf die Spielmatte zu. Die Blonde nähert ihre Hand dem rechten Schächtelchen, doch kurz bevor sie es mit den Fingerspitzen erreicht, setzt er seinen Fuß darauf. Genauer gesagt, lässt erseinen rechten Fuß mit aufgesetzter Ferse über dem Schächtelchen schweben, ohne es mit der Schuhsohle zu berühren. Er will das Schächtelchen nicht zertreten, sondern nur verhindern, dass die Blonde es umdreht.
Der Blick des Hütchenspielers verfinstert sich. Seine eben noch lockere Art weicht gespannter nervöser Aufmerksamkeit. Das Spiel ist illegal. Er kann keinen Ärger gebrauchen. Und er weiß nicht, was der unbekannte Eingreifer auf der anderen Seite der Matte vorhat. Vielleicht hat er es mit einem Polizisten in Zivil zu tun.
Die Blonde hebt den Kopf. Sie versteht nicht, was geschieht. In ihrem Blick überwiegt Skepsis. Ihre Hand schwebt griffbereit neben seinem Schuh. Ganz offensichtlich sieht sie in der Intervention keinen Schutz. Vielmehr missachtet er mit seinem Eingreifen ihre Entscheidung für das rechte Schächtelchen. Er kann ihr das Misstrauen nicht verdenken. Warum sollte sie ihm vertrauen, einem Mann, den sie niemals zuvor gesehen hat? Auch er könnte ein Betrüger sein.
Der Hütchenspieler beginnt nervös zu tänzeln, als wäre der Boden kochend heiß. »Was machst du? Möchtest du spielen? Kannst du nächstes Spiel machen, aber zuerst sie, sie möchte Schachtel umdrehen.«
»Das weiß ich«, sagt er. »Sie möchte die rechte Schachtel umdrehen, weil unter dieser Schachtel das Kügelchen ist. Wir haben es alle gesehen, ich habe es jedenfalls gesehen. Das Kügelchen kann nicht unter der linken Schachtel sein.«
Der Hütchenspieler sagt: »Wenn du spielen willst, kein Problem, machst du nächstes Spiel.«
»Zuerst müssen wir dieses hier beenden«, sagt er.
»Lässt du sie Schachtel umdrehen«, sagt der Hütchenspieler, »dann ist zu Ende.«
»Ich lasse sie eine Schachtel
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