Was Liebe ist
Welt. Sie könnten überall sein.
Sie geben ein gut aussehendes Paar ab. Er trägt seinen Anzug,hat lediglich die Krawatte nach der Konferenz abgelegt. Er legt Wert auf sein Aussehen. Er mag schlecht gekleidete, uneitle Männer nicht. Er betreibt Sport. Es spricht nichts dagegen, als Epileptiker Sport zu treiben, solange man sich dabei keinem besonderen Sturz- oder Schlagrisiko aussetzt. Wenn man nicht anfallsfrei ist, darf man auf keinen Fall schwimmen.
Im Gegensatz zu Piet ist er größer als Zoe. Er glaubt nicht, dass das Papst-Profil auf ihrem Hoodie eine besondere Bedeutung hat. Sie sprechen nicht miteinander, während der Lift aufwärts gleitet. Es gibt zwischen ihnen noch keine unbedeutenden Alltäglichkeiten, die sie austauschen könnten. Es ist nicht zu besprechen, wie es morgen weitergehen soll, wann man aufstehen wird, was für den nächsten Tag ansteht. Das Bild im Spiegel zeigt sie als Paar ursprünglich, elementar. Ein Mann und eine Frau auf dem Weg in ein Zimmer.
Als sie aus der Kabine treten, muss er sich kurz auf die Richtung besinnen. Er wendet sich nach rechts, und als sie vor der Tür stehen, sagt er: »Hier ist es«, weil er das Gefühl hat, dass es nun doch einer kurzen verbalen Polsterung bedarf, bevor er die Tür mit der Magnetkarte öffnet und Zoe eintreten lässt.
Das Zimmer ist aufgeräumt. Die Ordnung und die Sauberkeit sind unpersönlich, haben nichts mit ihm zu tun. Das Bett steht in einer geräumigen Nische links, das Sofa rechts ist groß genug für ihn. Auf dem Bett liegt, vom Zimmerservice akkurat gefaltet, sein Schlafanzug, der etwas über ihn verrät: Er schläft nicht in T-Shirt und Boxershorts. Das Deckenlicht ist zu hell, denkt er, aber dann denkt er sofort: zu hell wofür?
Zoe setzt sich in den Sessel neben dem Sofa und fängt an, die Schnürung ihrer Lederboots zu öffnen. Sie trägt die falschen Sachen zum Sex, jedenfalls wenn zum Sex das gemeinsame atemlose Ausziehen gehört. In den Boots trägt sie Füßlinge mit Nike -Haken, die sie mehr oder weniger zusammen mit den Stiefeln abstreift.
Zum zweiten Mal an diesem Tag sieht er ihre Füße mit den dunkel lackierten Zehen. Frauen haben ein sicheres Gespür dafür, wie sie von einem Mann angesehen werden, ob leidenschaftslos oder erotisch interessiert. Er wendet sich ab und kümmert sich um das Licht. Er hat das System der verschiedenen dunkelgrauen Schalter – manche an der Tür, manche am Bett – noch nicht erfasst. Als er auf den Fußschalter der Stehleuchte am Sofa tritt, sieht es etwas wohnlicher aus.
Zoe sieht sich im Zimmer um. Gibt es etwas, das sie nicht sehen sollte? Im Bad ist seine Kulturtasche mit der Schachtel Topamax. Er legt die Schachtel nie auf die Ablage unter dem Spiegel oder den Waschbeckenrand, sondern verschließt sie stets in einem Seitenfach. Jetzt ist er froh um diese Angewohnheit.
Er hört Zoe im Bad hantieren. Was erwartet sie von ihm? Er hat sich bisher zurückgehalten, und er wird es weiter tun. Eigenartigerweise denkt er aber, dass seine Zurückhaltung auch etwas Kränkendes hat, zumindest aus einer bestimmten Perspektive. Oder macht er da einen fatalen Denkfehler? Wieso sollte es eine Frau kränken, wenn man ihr als Mann in einer Situation wie dieser nicht zu verstehen gibt, dass man sie erotisch begehrt? Er schließt den Vorhang.
Natürlich hätte Zoe sich auch ohne Geld – das er ihr im Übrigen hätte leihen können – in ein Taxi setzen und nach Hause fahren können. Piet hätte sie schon ausgelöst. Aber sie hat es nicht getan, sie ist hier. Ist das von ihrer Seite aus nicht Signal genug?
Er weiß es nicht. Er kann sie nicht einschätzen. Love and fight – Nähe und Zurückweisung. Was will sie, wonach sucht sie? Er stellt das Licht so ein, dass es weder unangenehm hell noch aufdringlich dunkel ist. Er nimmt ein Kissen, eine Decke und seinen Schlafanzug vom Bett und legt alles aufs Sofa. Wie in den meisten Hotelzimmern ist das Bett ein Doppelbett.
Zoe kommt aus dem Bad. Sie hat die Schnallen- und Reißverschlusshose und den Papst-Hoodie ausgezogen. Sie geht in Unterwäsche durchs Zimmer. Ihr Unterhemd ist violett, hat sehr dünne Träger und einen Spitzenbesatz über der Brust. Der knappe Slip, über den das Unterhemd nicht reicht, macht einen sehr teuren Eindruck. Er zieht daraus seine Schlüsse über Piet, ihren Lebensgefährten – oder findet, genauer gesagt, seine längst gezogenen Schlüsse bestätigt.
Zoe geht zum Bett und setzt sich. Ihr Blick fällt auf das
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