Was Liebe ist
als zwei Wochen waren es schon. Ich mochte Jazz-Standards. Und jetzt bin ich Jurist. So etwas kommt vor.«
»So häufig nicht. Du hast einen weichen Anschlag. Den hat nicht jeder.«
»Als ich den Bösendorfer gesehen habe, konnte ich nicht widerstehen. My Favorite Things stand auf dem Notenbrett. Ich wollte nicht, dass du deswegen Schwierigkeiten bekommst.«
Sie winkt ab. »Piet ist immer eifersüchtig. Das liegt in der Natur unserer Beziehung.«
»Was ist die Natur eurer Beziehung?« Er fügt sogleich hinzu: »Entschuldige, das geht mich nichts an.«
»Nein nein, ist schon in Ordnung … Bist du verheiratet?«
Eine Intimität gegen die andere. So lernt man sich kennen.
»Denkst du, alle Männer mit Anzug und Aktentasche müssten verheiratet sein?«
»Also nicht.«
»Nein.«
Sie zündet sich noch eine Nil an. »Piets Eifersucht ist manisch und paranoid. Das ist die Natur unserer Beziehung.«
»Du hast ihn angelogen. Wer ist Cora?«
»Das musste ich. Als ich ihm gesagt habe, dass du zum Theater kommst, hat er in den Hörer gebrüllt wie ein Wahnsinniger. Ihm war nicht klar, wie wir uns überhaupt verabreden konnten. Ich habe mich dazu allerdings nicht weiter geäußert. Ich habe ihm natürlich nicht gesagt, dass ich dir meine Nummer gegeben habe.«
Allmählich fragt er sich, wohin der Abend führen wird. In den vergangenen Jahren ist der Begriff des One-Night-Stands in Mode gekommen. Ein kühler, verlockender Begriff. Ein Begriff aus der Welt des Theaters, der Hamlet-Wahnsinn-Welt. Das einmalige Gastspiel. Zoe und er?
»So wütend kam mir Piet nicht vor«, sagt er. »Ehrlich gesagt, habe ich gesehen, wie er dich geküsst hat.«
Damit ist seine Anstandslüge, von ihrem Streit nichts mitbekommen zu haben, aus der Welt geschafft. Was auch immer zwischen ihnen beginnt, sollte nicht mit einer Lüge beginnen.
»Ich weiß«, sagt sie. »Piet hat mich geküsst, weil er dich draußen gesehen hat. Aber ich bin kein Baum, den man anpinkelt, um sein Revier zu markieren.«
»Hat er das?«
»Das und noch mehr.«
»Er hat noch irgendetwas gesagt.«
»Ja, hat er.«
»Und was?«
Sie zögert einen Moment. »Ohne seine Bemerkung hätte ich den Abend vielleicht einigermaßen formvollendet und ohne Skandal über die Bühne gebracht.«
Was können Männer nach einem Kuss zu Frauen sagen, das sie dazu bringt, ihnen die Tasche vor die Füße zu werfen und zu gehen? Das möchte er jetzt wirklich wissen.
»Er hat mich geküsst und gesagt: ›Das brauchtest du.‹ Du denkst, er ist ein kultivierter Professor, aber er ist ein verdammtes Arschloch.«
Die Beschimpfung hat er heute Abend schon einmal gehört. Hoffentlich ist er nicht wie Piet. »Und jetzt?«
Sie bestellt noch einen Côtes du Rhône. »Keine Ahnung. Typisch, so ist das immer! Jetzt bin ich es, die ein schlechtes Gewissen haben muss. Irgendwie kriegt er es immer so hin, dass ich am Ende die bin, die sich unmöglich benimmt. Er kann mich mal. Aber weißt du was?«
»Was?«
»Ich verdanke ihm alles.«
Er schüttelt den Kopf. »Ein Studium ist nicht alles.«
Sie schweigt eine Weile. »Eigentlich wollte ich ihm die Wohnungsschlüssel vor die Füße werfen. Es ist seine Wohnung.Aber ich habe die Schlüssel in der Tasche so schnell nicht gefunden. Jetzt habe ich nichts mehr bei mir. Keinen Pfennig.«
»Ich zahle.«
»Cool.«
»Übernachte hier im Hotel.«
»Worauf läuft das hinaus?«
»Ich schlafe auf dem Sofa.«
»Wo sonst.« Plötzlich lächelt sie. Ihre Augen werden dabei zu Schlitzen. Er weiß nicht, warum ihn das rührt.
Worauf läuft der Abend hinaus? Er hat schon oft gedacht, dass es in der Begegnung von Mann und Frau – vorausgesetzt, die gegenseitige Anziehung dafür ist da – in den meisten Fällen genug wäre, miteinander zu schlafen. Alles, was man darüber hinaus voneinander verlangt, ist schon zu viel. Und zwar aus einem Grund, der nichts mit Moralität oder Dekadenz zu tun hat, vielmehr mit der Frage, wozu wir in der Lage sind und wozu nicht? Mit dem, worauf wir uns verstehen und worauf nicht. Wir verstehen uns darauf, miteinander zu schlafen, aber wir verstehen uns ganz offensichtlich nicht sehr gut darauf, uns zu lieben.
Im Fahrstuhl sehen sie sich als Paar in einem Spiegel. Als Mann und Frau. Zum ersten Mal sind sie zusammen in einem Raum ohne jede Öffentlichkeit. Die Fahrstuhlkabine ist mit rötlich dunklem Holz ausgekleidet. Die Haltestangen und Türverblendungen sind aus Messing. Fahrstühle wie diesen gibt es auf der ganzen
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