Was Liebe ist
angewöhnt, in kurzen, einfachen Sätzen zu denken und zu sprechen.
Er liest Zeitung. Das Thema des Tages ist eine Agrarministerkonferenz zum Thema BSE, Bovine spongiforme Enzephalopathie, im Volksmund Rinderwahnsinn genannt. Niemand weiß, was die Gehirne der Rinder so sehr zerstört, dass die Tiere anfangen zu zucken, zu straucheln und um sich zu treten, bis sie schließlich zusammenbrechen. Die Krankheit ist ein Rätsel, es ist unklar, wie sie sich von Rind zu Rind überträgt. Deshalb tötet man die betroffenen Herden in der Hoffnung, die Ausbreitung der Krankheit auf diese Weise einzudämmen. Man tötet auch die Nachkommen erkrankter Tiere, weil es eine erbliche Komponente bei der BSE-Übertragung geben könnte. Genaugenommen betreibt man Rassenhygiene. In den Artikel vertieft, wird er angesprochen.
»Darf ich mich setzen?«
Vor ihm steht Piet, Zoes Lebensgefährte. Das ist eine Überraschung – oder auch nicht. Er lenkt seine Gedanken vom Rinderwahnsinn hin zu Piet mit seiner fuchsfarbenen Wildlederjacke und seinen graumelierten Augenbrauen. »Ja … sicher …«
Piet lächelt sein hintergründiges Lächeln und schiebt sich einen Stuhl zurecht, auf dem er sich ohne Eile niederlässt.Er zupft sich die Hose glatt, winkt die Bedienung heran und bestellt einen doppelten Espresso mit einem Extrakännchen geschäumter Milch. »Sie fragen sich natürlich, warum ich hier bin … Oder wahrscheinlich fragen Sie es sich nicht.«
»Verraten Sie es mir«, sagt er. Er ist Piet keine Rechenschaft schuldig. »Warum sind Sie hier? Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege.«
»Mir ist klar, dass Sie sich im Moment sehr stark fühlen.«
Fühlt er sich stark? Ja, schon – wenn auch nicht aus dem Grund, den Piet ihm offenkundig unterstellt. Aber er weiß mehr als Piet. Er kennt die Geschichte der vergangenen Nacht.
Er sagt: »Was wollen Sie?«
Nachdem Piet seinen Kaffee bekommen hat, gibt er ein bisschen geschäumte Milch in den Espresso und schiebt mit dem Löffel behutsam ein Hügelchen Schaum hinterher. Er lässt sich Zeit damit. Es scheint ein Ritual zu sein, das er täglich vollzieht. Ab einem gewissen Alter besteht das Leben nur noch aus Ritualen und Arztbesuchen. Ist Piet in diesem Alter?
»Ich kenne Zoe seit sechs Jahren. Ich sage das nicht, um bestimmte Ansprüche oder gar Besitzrechte geltend zu machen, sondern um Sie darauf hinzuweisen, dass ich Zoe besser einschätzen kann als Sie.«
»Sie meinen, je länger man mit einem Menschen zusammen ist, umso besser kennt man ihn? Sind Sie sich da sicher? Vielleicht ist das Gegenteil der Fall.«
»Sie sind intelligent«, sagt Piet. Irgendwo zwischen jungen und alten Männern verläuft eine optische Grenze. DerUnterschied ist, ob man einzelne Augenbrauen erkennen kann oder nicht. Anhand dieses Kriteriums ist Piet alt. »Zoe mag intelligente Männer. Sie ist eine von den wenigen Frauen, denen Intelligenz mehr bedeutet als Macht. Für Zoe ist Intelligenz erotisch.«
Es stört ihn sehr, wie Piet über Zoe redet. Als wäre sie ein Kunstwerk, das er über Jahre studiert, vielleicht sogar geformt hat. Professor Higgins und Eliza Doolittle.
Er sagt: »Welcher Sphäre rechnen Sie sich zu? Der der Macht oder der Intelligenz?«
»Vor allem der einer gewissen Erfahrung.«
»In welchen Dingen? Im Umgang mit Frauen? Den Eindruck hatte ich gestern Abend, ehrlich gesagt, nicht.«
Piet lächelt wieder. Das System dahinter scheint zu sein, dass er immer dann lächelt, wenn er seinem Gegenüber am liebsten eine reinhauen würde.
»Mir ist vollkommen klar, dass Sie glauben, genau Bescheid zu wissen. Sie denken, da sitzt er nun, der alte Herr, der Zoes Vater sein könnte, aber offenkundig ihr Lebensgefährte ist, und ist rasend eifersüchtig.«
»Denke ich das?«
»Was sonst?«
»Das geht Sie nichts an.«
Piet trinkt gelassen einen Schluck Espresso mit Milchschaum und stellt die Tasse wieder ab. »Vielleicht bin ich gar nicht eifersüchtig, sondern finde die Vorstellung, dass Sie und Zoe miteinander schlafen, erotisch. Sie sind ein gut aussehender Mann, Zoe eine gut aussehende Frau.«
»Weiß Zoe, dass Sie so denken?«
»Zoe weiß alles über mich, fast alles. Wir sind sehr symbiotisch. Stört Sie das, oder warum sind Sie so abweisend? Finden Sie, ältere Männer sollten keine jüngeren Frauen haben? Wie alt sind Sie? Ich würde sagen, nicht mehr so jung, dass Sie sich in diesem Punkt völlig unbesorgt aus dem Fenster lehnen können. Sie
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