Was Liebe ist
Er fand deine Akkordsubstitutionen brillant. Ich glaube, er sprach von Weite. «
»Sind Sie auch Musiker?«, fragt Ivo.
»Nein.«
»Er spielt Klavier. Er spielt gut«, sagt Zoe.
»Wie fanden Sie Light my fire ?«
»Sie meinen den Anfang? A-sieben mit der kleinen Dezime statt a-Moll-sieben und d-sieben statt fis-Moll-sieben?«
»Das ist grandios oder?«, begeistert sich Ivo Reich für seine Interpretation. »Ich war völlig verblüfft, als ich gesehen habe, dass das geht. Und wenn die Melodie in der zweiten Strophe eine Quinte höher erklingt, spielt man das Ganze in E und A!«
»Ja«, nickt er etwas zurückhaltend, »es ist amüsant … Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Blues-Atmosphäre dem Song gerecht wird.«
Piet wendet sich an Zoe: »Apropos Song. Ich kann mich nicht erinnern, dass du mir je einen gewidmet hättest. Klär uns mal auf. Was ist Liebe?«
»Ich trinke noch ein Glas. Dann sage ich es dir.«
»Musst du dich betrinken, um über Liebe zu reden?«
»Ich muss mich betrinken, um mit dir zu reden.«
»Du musst dich zu vielem betrinken.«
»Gestern nicht. Roland und ich haben uns bestens unterhalten, über das Leben, über die Musik. You don’t know what love is ist übrigens sein Lieblingssong – deswegen habe ich ihn gesungen.« Dass sie in der Lage ist, aus dem Stegreif passgenaue Lügenminiaturen zu erfinden, weiß er inzwischen. Vielleicht sollte er besser gehen. »Im Übrigen«, fährt sie fort, »kann ich dir versichern, dass er sehr gut weiß, was Liebe ist.«
»Das denke ich mir.«
»Und wie üblich denkst du falsch! Ich erzähle dir jetzt eine Geschichte – eine echte Liebesgeschichte. Roland und ich, wir sind gestern bei einem Hütchenspieler hängen geblieben, der eine gerade mal volljährige Blondine am Haken hatte. Niemand auf dem Gehweg hat sich darum gekümmert, aber Roland hat sie beinahe vor dem Untergang gerettet. Du weißt ja, wie dieses Hütchending läuft. Es war so: Sie hatte zwei Schachteln, A und B, zur Auswahl und konnte sich nicht entscheiden. Und Roland hat zu ihr gesagt … wie war das denn jetzt nochmal? … er hat gesagt, wenn Sie glauben, dass die Kugel unter A ist, dann sagen Sie es diesem Hütchengauner und heben Sie nicht A, sondern B hoch. Brillant, oder? B wäre ja leer gewesen und damit der Beweis erbracht, dass A richtig ist. Das wäre ihre einzige Chance gewesen zu gewinnen, denn in Wahrheit war natürlich auch A leer … so war das doch, oder?«
Er nickt: »Das war die Idee.«
»Und das ist Liebe?«, sagt Piet.
»Das ist mehr, als du jemals für mich getan hast. – Ivo, was meinst du? Sollten wir über Light My Fire nochmal nachdenken? Vielleicht sind die Blues-Akkorde doch keine so gute Idee.«
»Die Leute mögen das«, sagt Ivo. »Sie lachen.«
»Ja, aber sollte man dabei lachen: You know that it would be untrue, you know that I would be a liar … Ich muss jetzt eine rauchen.« Sie wendet sich an Piet: »Gib mir eine Zigarette.«
»Du weißt, wie ich darüber denke.«
»Das ist mir egal!«, funkelt sie ihn an.
»Ich fühle mich nun mal für deine Stimme verantwortlich«, sagt Piet.
»In dieser Räucherbude soll ich nicht rauchen? Wenn du dir über meine Stimme Sorgen machst, verschaff mir einen Open-Air-Auftritt im Olympiastadion.«
»Ich habe keine Zigaretten.«
»Natürlich hast du welche. Ich habe dich gebeten, eine Schachtel mitzubringen, also hast du sie.«
»Ich habe sie vergessen.«
»Hast du nicht!«
Piet gibt auf. Er zieht eine Schachtel Nil aus der Jackentasche und gibt sie ihr. Theater, Wahnsinn. Das Leben von Künstlern ist ein Teil ihrer Kunst. Wovon ist sein Leben ein Teil? Ein Teil seiner Krankheit? Zoes Lippenrot hat sich beim Singen abgenutzt. Mit der Zigarette im Mund beugt sie sich Piet entgegen, damit er ihr Feuer gibt. Piet rührt sich nicht.
»Was ist?«, sagt Zoe. »Soll ich auch darum noch betteln?«
Piet steckt beide Hände in die Jackentaschen. Auf einmallächelt er wieder. Als er die Hände aus den Taschen zieht, hat er beide zu Fäusten geformt. In einem Abstand von zehn Zentimetern hält er sie Zoe hin und sagt: »In einer von beiden ist das Feuerzeug. Wenn du richtig tippst, zünde ich deine Zigarette an. Wenn nicht, steckst du sie wieder zurück.«
Für eine Sekunde ist Zoe verblüfft, dann verändert sich ihr Gesichtsausdruck, wird feindselig. Sie hat keine Lust auf diese Piet-Version des Hütchenspiels – es ist jetzt genug mit dem Theater. Sie will eine Zigarette rauchen, und wie
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