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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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»kein Problem.«
    »Gut«, sagt sie.
    Sie dreht sich um und geht voraus zum KLM-Schalter. Eine Sekunde lang fragt er sich, ob sie sich als Jazz-Sängerin, die vor fünfzig oder sechzig Zuschauern auftritt, einen spontanen Flug nach Amsterdam überhaupt leisten kann. Oder wird sie ihn bitten, ihr den Betrag zu leihen?
    Er würde sie jederzeit zum Essen einladen, aber gleich zu einer Reise nach Amsterdam? Das könnte ein wenig großspurig wirken. Trotzdem – und weil es bei ihm auf solche Beträge nicht ankommt – reizt es ihn, die Sache dezent zu übernehmen. Es muss irgendetwas Unerwartetes geschehensein, sonst wäre sie nicht hier. Vielleicht ist sie in einer Notlage.
    Seine Überlegungen erweisen sich als überflüssig. Zoe zieht eine Kreditkarte aus der engen rechten Gesäßtasche ihrer verwaschenen Jeans und legt sie auf den Tresen. Der Fensterplatz neben ihm ist noch frei. Damit steht also fest: Sie werden in einer halben Stunde nebeneinander in einem Flugzeug sitzen und nach Amsterdam fliegen.
    Die Maschine ist ein kleiner Turboprop-Jet mit etwa vierzig Sitzen, von denen nur gut die Hälfte besetzt ist. Ihre Plätze befinden sich in der Mitte auf Höhe des rechten Flügels. Das Boarding ist schnell erledigt. Als die Maschine leicht schwankend über den alten Tempelhofer Beton zur Startposition rollt, starrt Zoe regungslos aus dem Fenster. Schließlich sagt sie: »Der Propeller dreht sich nicht.«
    Inzwischen ist es Nacht, aber im Licht einer Positionsleuchte ist deutlich zu erkennen, dass die Schraubenblätter des Propellers auf ihrer Seite der Maschine tatsächlich still stehen. Offenbar zieht im Moment nur das linke Triebwerk den kleinen Jet zur Startbahn. Vermutlich genügt ein Propeller, um mit ihm auf dem Flugfeld herumzukurven. Jedenfalls nimmt er das an.
    »Ich denke, das ist normal«, sagt er also.
    »Es soll normal sein, dass nur ein Propeller läuft!«
    »Wir sind noch nicht in der Luft.«
    »Gott sei Dank.«
    Er kann sich nicht vorstellen, dass ein Flugzeug abstürzt oder gar nicht erst abhebt, weil beim Start vergessen wurde, ein Triebwerk einzuschalten. Vermutlich kann beim Fliegeneine Menge schiefgehen, mehr, als man vielleicht ahnt, aber doch wohl kaum etwas, das jeder Laie auf den ersten Blick erkennt. Weiter aus dem Fenster starrend, sagt Zoe: »Ich fliege nicht besonders gerne.«
    »Wahrscheinlich schalten sie den zweiten Propeller erst kurz vor dem Start zu. Vielleicht um Benzin zu sparen. Ich nehme an, dass es irgendein rotes Lämpchen im Cockpit gibt, wenn ein Triebwerk noch nicht läuft. Vermutlich ist es gar nicht möglich, mit nur einem Triebwerk zu starten. Die Sicherheits- und Kontrollsysteme lassen das gar nicht zu.«
    Sie sieht immer noch angespannt hinaus. »Und für diese Annahme, für die du nicht den geringsten Beweis hast, bist du bereit, dein Leben aufs Spiel zu setzen?«
    »Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert«, sagt er, »in ein paar Wochen im einundzwanzigsten. Ich denke, dass es so sein muss , wie ich es sage. Sonst würde sich niemand in ein Flugzeug setzen. Sonst würden wir immer noch mit Kutschen fahren.«
    Zoes Halssehne unter dem Kinn ist straff gespannt. Die Bodenlichter des Rollfelds ziehen hinter ihrem Profil im Fenster vorüber. Sie schnallt sich ab und steht auf, soweit die Handgepäckablage das zulässt. Ihr Duft dringt in seine Nase.
    Mit ausgestrecktem Arm macht sie dem Flugbegleiter, der vorne mit Blick auf die Passagiere auf einem Klappstuhl angegurtet ist, ein Zeichen. Der dunkle Nagellack von gestern ist inzwischen etwas abgesplittert. Was hat sie vor? Er kann nicht glauben, dass sie einem Steward eine Belehrung über den technischen Zustand der Maschine erteilen möchte. Aber genau das tut sie.
    »Entschuldigung, der rechte Propeller funktioniert nicht.«
    Der Steward, blond und sportlich, lächelt und sieht nicht einmal hinaus. »Das ist normal. Die beiden Triebwerke laufen niemals gleichzeitig an.«
    Genau das – sinngemäß jedenfalls – hat er auch gesagt: Es gibt eine Funktionslogik der Bordsysteme, auf die man vertrauen kann. Er ist in einer Zwickmühle. Einerseits möchte er sich mit Zoe solidarisieren, aber andererseits möchte er sich auch nicht lächerlich machen.
    Zoe sagt: »Und wann geht dieser Propeller an?«
    »Spätestens wenn wir unsere Startposition erreicht haben. Es ist wirklich alles in Ordnung. Schnallen Sie sich wieder an und genießen Sie den Flug.«
    Sollte er ihr Anliegen nicht doch verteidigen? Wieso ist seine

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