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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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höflich, warm, offen. Er fragt sich, ob Zoe ihn im Publikum sucht. Sie hat ihm die SMS vor etwa anderthalb Stunden geschrieben. Hofft sie, dass er gekommen ist?
    Sie trägt die schwarzen Schnürboots von gestern, aber eine schmaler geschnittene Hose, deren Beine im Schaft der Stiefel verschwinden. Der Gürtel sitzt sehr tief auf ihren Hüften. Ihr Top ist aus schwarzem Feinripp, bis auf die Farbe ein klassisches Unterhemd, nur an den Achseln und im Dekolletee etwas weiter ausgeschnitten.
    Es wird still. Zoe schließt die Augen. Die ersten Pianoakkorde lassen keine Rückschlüsse auf die Melodie zu. Blue notes schweben durch den Raum, Harmonien zwischen Dur und Moll, große Terz in der tiefen Lage, kleine Terz, bzw.Dezime in der hohen. Er denkt noch einmal an Niko, den diese Uneindeutigkeit verwirrt hat.
    Zoe steht mit gesenktem Blick vor dem Mikrofon. Ein wenig wirkt es so, als müsse auch sie erst herausfinden, welches Stück ihr Partner spielt. Doch dann bindet sie mit ihrer Stimme alles zusammen, was er bisher nur umspielt und ausgeschmückt hat. Innerhalb einer Sekunde macht sie einen Song hörbar, den alle kennen. You know, that it would be untrue … Auf einmal erfüllt der alte Doors-Klassiker Light My Fire den Raum.
    Das Publikum ist verblüfft und amüsiert, klatscht vereinzelt oder lacht entspannt. Zoe blickt auf und lächelt, freut sich über den gelungenen Effekt. Kein Jazz-Standard, sondern ein Pop-Oldie im Blues-Gewand. Sie lässt sich mit der zweiten Zeile Zeit, lässt den Pianisten noch ein paar Takte improvisieren. You know that I would be a liar  …
    Ihre Bewegungen beim Singen faszinieren ihn. Sie wirken marionettenhaft. Mal hebt sie die Arme flehentlich, dann fallen sie kraftlos herunter, als habe jemand die Fäden durchtrennt. Ihre Hände mit den langen schmalen Fingern formen unablässig Zeichen, ihre Füße in den schweren Schnürboots dagegen bewegen sich kaum. Sie wiegt sich vor dem Mikrofon hin und her wie eine Tulpe. Bei manchen Tönen hebt sie ihre Schultern, als wolle sie den Klang ganz besonders verdichten. Dann wieder kippt ihr Kopf ein wenig manieriert wie erschöpft nach hinten, so dass sie für einen Augenblick im Hohlkreuz dasteht und ihr Bauchnabel zwischen dem Saum des dunklen Feinripptops und dem tief sitzenden Gürtel der Hose sichtbar wird. Spätestens beim Refrain ister süchtig nach diesem Gehabe. Zoe nähert sich mit den Lippen dem Mikrofon, schließt die Augen und haucht zu einer reinen G-A-D-Kadenz die Zeile, auf die irgendwie alle gewartet haben: Come on baby, light my fire  …
    In diesem Moment betritt Piet das A-Trane . Er lässt den Blick durch den Raum schweifen und lächelt dabei sein übliches, etwas abgehobenes Lächeln. Die Lichtverhältnisse sind zu schlecht, um jemanden zu erkennen. Zoes Augen sind noch geschlossen. Try to set the night on fire …
    In der Pause setzt sich Piet zu ihm an den Tisch.
    »Was halten Sie von dem Pianisten?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Sie verstehen etwas davon.«
    Er hat keine Lust, mit Piet zu reden. Ihn nervt dieses kompetitive Männergehabe. Wer gibt sich cooler, wer tritt dem anderen besser in die Eier. Er muss sich nicht mit einem Sechzigjährigen messen, das hat er nicht nötig.
    »Ich spiele nur selten.«
    »Zoe sagt, Sie wären gut.«
    »Sie hat nur ein paar Takte gehört.«
    »Sie hat von Ihrem Anschlag geschwärmt.«
    »Hat sie das?«
    »Der Pianist ist eine Katastrophe, nicht wahr? Die meisten Akkordsubstitutionen und -erweiterungen sind vollkommen beliebig, finden Sie nicht auch?«
    »Nein, er ist gut. Was Sie Beliebigkeit nennen, ist Weite. Er überlässt es Zoe, mit ihrer Stimme alles zusammenzubinden und zu formen.«
    Piet verzieht griesgrämig das Gesicht. »Ich glaube nicht, dass Zoe eine dilettantische Begleitung braucht, damit ihr Gesang besonders zur Geltung kommt.«
    Auf dem Weg zur Toilette hängen Plakate von Jazz-Größen an den Wänden: Miles Davis, John Coltrane, Thelonious Monk. Coltrane hat in den frühen sechziger Jahren My Favorite Things mit dem Sopransaxophon populär gemacht. Raindrops on roses, whiskers on kittens … Vor dem Waschbecken sieht er sich im Spiegel. Warum ist er hier? Ist er wirklich verliebt?
    Piet hat eine Flasche Bordeaux kommen lassen und schlägt die Ärmel seines Hemds zweimal um. Er macht es sich gemütlich, es ist mittlerweile warm geworden im A-Trane . Vorne im Scheinwerferlicht muss die Luft tropisch sein. Zoes bloße Schultern glänzen wie Seide in der

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