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Was Liebe ist

Was Liebe ist

Titel: Was Liebe ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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bekennen. Es ist nicht möglich, Gerechtigkeit zu schaffen, jede Gerechtigkeit wird notwendigerweise unvollkommen bleiben. Es fällt mir schwer, das hinzunehmen, aber gerade deswegen können und dürfen wir die Dimension der Verbrechen nicht ignorieren. Eines der grausigsten Dokumente, das ich jemals zu Gesicht bekommen habe, war eine Denkschrift der SS mit Schätzungen zu den Gewinnen, die sich aus Arbeitssklaven ziehen ließen. Darin hat die SS bei einer angenommenen Überlebensdauer des durchschnittlichen Arbeitssklavens von neun Monaten aus jeder Arbeitskraft einen Gewinn von 1431 Reichsmark errechnet. Hinzugekommen ist noch, was die SS Erträge aus der sinnvollen Verwertung der Leichen nannte – Zahngold,Kleidung, Wertsachen und Bargeld. Als Gesamtgewinn aus jedem durch Arbeit vernichteten Menschen haben sich nach dieser Rechnung 1631 Reichsmark ergeben, wobei die SS auch die Erträge aus der Verwertung von Knochen und Asche hinzugerechnet hat. Ich denke, Sie sollten dieser ungeheuerlichen menschenverachtenden Rechnung etwas entgegensetzen, solange dies noch möglich ist.«
    Nach dieser Rede tritt Schweigen ein. Ist das, was Eizenstat fordert, überhaupt möglich? Kann man einer solchen Rechnung etwas entgegensetzen? Die Ökonomie verwandelt Menschen in Zahlen. Vielleicht ist jede Ökonomie auf ihre Weise unmenschlich. Aber man sieht es erst, wenn jedes Maß verloren geht. Wenn auch der letzte Vorhang der Humanität fällt.
    Den, der sich schließlich erhebt, kennt er persönlich, er duzt ihn sogar. Es ist Kurt Weyse, Justitiar eines Import-Unternehmens für Buntmetalle, mit dem die Ziegler Group zusammenarbeitet. Kurt ist ein blonder, eloquenter, etwas langweiliger Riese. Auf einmal denkt er: ein Germane.
    »Das ist alles unerträglich«, sagt Kurt mit seiner überraschend hohen, etwas gepressten Stimme, »und ich möchte betonen, dass es mich absolut nicht kaltlässt, was vor mehr als fünfzig Jahren in diesem Land geschehen ist. Aber als Vertreter einer Generation, die in den frühen sechziger Jahren geboren wurde, frage ich mich doch, warum wir gerade jetzt hier zusammenkommen und darüber reden.«
    »Vielleicht weil vorher niemand darüber geredet hat?«, sagt Schröder und hebt dabei seine markanten Augenbrauen.
    »Bei allem Respekt, Herr Bundeskanzler. Ich bin mir der nationalsozialistischen Verbrechen absolut bewusst, undich habe nicht den Eindruck, dass es bei irgendjemand, der hierzulande auch nur einen Funken Verstand hat, anders ist. Ignoranz und Verdrängung kann ich bei diesem Thema absolut nicht erkennen.«
    »Das sehe ich nicht so«, entgegnet ihm Schröder. »Die Zwangsarbeiterproblematik hat in der Diskussion der deutschen Vergangenheit bisher nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Da gibt es definitiv Nachholbedarf.«
    »Mag sein, aber was hat das mit uns zu tun? Seien wir ehrlich: Wir wissen doch alle, weswegen wir hier sind: Weil in den USA ein paar gewiefte Anwälte herausgefunden haben, dass es jetzt noch ein paar überlebende Opfer des Naziregimes gibt und in ein paar Jahren nicht mehr und dass jetzt also die letzte Gelegenheit ist, aus dieser Sache etwas herauszuholen. Es geht mir absolut nicht darum, die nationalsozialistischen Verbrechen kleinzureden, aber das, was im Moment vor amerikanischen Gerichten läuft, ist nichts anderes als ein äußerst durchsichtiges Erpressungsmanöver.«
    Schröder wiegt den Kopf hin und her. Ganz Politiker und Bundeskanzler, bleibt er gelassen. »Natürlich habe auch ich Sorge, dass unsere Initiative angesichts der unrealistischen finanziellen Forderungen seitens der Klägeranwälte und der offenen Fragen zur Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen vor US-amerikanischen Gerichten noch scheitern könnte. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass wir dieses wohl letzte offene Kapitel der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in diesem Jahrhundert zum Abschluss bringen sollten. Das ist unsere historische Pflicht.«
    »Und das heißt: Entweder wir zahlen zehn Milliarden – ich bitte Sie: zehn Milliarden«, wiederholt Weyse noch einmal mit besonders dramatischer Betonung, »oder unsere Geschäfte werden uns in den USA durch verleumderische Klagen und die zwangsläufig folgende negative Medienkampagne unmöglich gemacht. Die Umsatzzahlen würden einbrechen und die deutsche Industrie massiv geschwächt. Wenn das keine Erpressung ist, was dann?«
    Die Stimmung im Saal ist gespannt. Er betrachtet abwechselnd Kurt Weyse und den Bundeskanzler. Ganz

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