Was Liebe ist
der Generation der Täter und Opfer verschwinden auch die verhandelbaren Tatbestände, weil weder moralische Schuld noch persönliches Leid vererbbar sind.
Der Konferenzraum bietet etwa achtzig Teilnehmern Platz. Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich um Männer,als wären sowohl das begangene Unrecht als auch seine Wiedergutmachung Männersache.
Sein Platz ist am Rand einer der vorderen Stuhlreihen. Als Schröder, Lambsdorff, Gentz und Eizenstat den Saal betreten, nehmen alle ihre Plätze ein. Die Ruhe, die danach eintritt, ist angespannt. Die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter wird Geld kosten, und die Anwesenden als Vertreter der deutschen Industrie sollen es aufbringen. Nur deswegen sind sie eingeladen worden: um für etwas zu bezahlen, das geschehen ist, als sie noch nicht geboren oder höchstens Kinder waren.
Schröder sieht tatkräftig aus. Er wirkt smart, konzentriert, eloquent, männlich. Er bewegt sich auf einem Terrain, das ihm zumindest formal vertraut ist: Er ist Jurist. Wahrscheinlich sind alle, die hier im Raum sind, Juristen. Deswegen wissen sie, dass die Entschädigungsklagen der ehemaligen Zwangsarbeiter in den Vereinigten Staaten auf wackligen Beinen stehen. Die meisten dieser Klagen werden vermutlich wegen Unzulässigkeit abgewiesen werden wie die gegen Siemens und die Degussa in New Jersey vor einem Monat.
Aber gleichzeitig ist klar, dass der Imageschaden für die deutsche Industrie in den USA beträchtlich wäre, wenn man den wenigen noch lebenden Zwangsarbeitern in großen öffentlichen Prozessen jede finanzielle Wiedergutmachung verweigern würde. Daimler-Benz hat vor einem Jahr Chrysler übernommen, die Deutsche Bank will Bankers-Trust kaufen, und VW bringt gerade den New Beetle auf den amerikanischen Markt. Da macht es sich nicht besonders gut, wenn in den Vereinigten Staaten öffentlich die Tatsache diskutiertwird, dass deutsche Autos einmal mit jüdischen Zwangsarbeitern gebaut worden sind, dass die Degussa in ihrem Frankfurter Werk Zahngold aus den Konzentrationslagern in Goldbarren für die Reichsbank umgeschmolzen hat und dass die Deutsche Bank durch die sogenannte Arisierung gestohlenen jüdischen Vermögens reich geworden ist.
Schröder eröffnet die Konferenz mit ein paar einleitenden Bemerkungen und übergibt das Wort dann an den amerikanischen Unterhändler Stuart Eizenstat, die Stimme Bill Clintons in diesem Raum. Eizenstat unterbricht seine Rede regelmäßig, um sie von einer Dolmetscherin, die neben ihm sitzt, ins Deutsche übersetzen zu lassen. Sie gibt seine Worte mit einer neutralen unbewegten Stimme wieder, weil sie falsche Betonungen und Akzentuierungen vermeiden möchte.
»Lassen Sie mich zuerst über das reden, was vor mehr als fünfzig Jahren vorgefallen ist. Nazideutschland hat während des Zweiten Weltkrieges etwa zehn Millionen Menschen zur Zwangsarbeit in den Fabriken der Rüstungsindustrie, in der Landwirtschaft und beim Straßenbau genötigt. Manche von ihnen wurden nach der Besetzung ihrer Heimat durch die Wehrmacht deportiert, andere wurden in ihrem eigenen Land zwangsweise umgesiedelt, um für deutsche Firmen in den besetzten Territorien zu arbeiten. Diese massive, nach Umfang und Zweck historisch beispiellose Aushebung von Arbeitskräften setzte arbeitsfähige deutsche Männer für den Kampf mit der Waffe frei und hielt zugleich die NS-Rüstungswirtschaft am Laufen. Viele deutsche Firmen und Konzerne haben damals Gewinne geschrieben und sich eine Marktposition geschaffen, die ihnen bis heute geblieben ist.Die Zwangsarbeiter dagegen haben höchstens einen minimalen Lohn erhalten – wenn überhaupt. Die Bedingungen, unter denen sie zur Arbeit gezwungen wurden, waren dabei unterschiedlich. Das Spektrum reicht von relativ erträglich geregelter Arbeit auf dem Land oder in kleineren Unternehmen bis hin zu gezielter und auch im Nazijargon offiziell so genannter Vernichtung durch Arbeit . Den wenigen, die überlebt haben, ist nach dem Krieg nie eine Entschädigung für das erlittene Unrecht oder auch nur für die geleistete Arbeit zugesprochen worden. Mir ist natürlich bewusst, dass man dieses Unrecht nach mehr als fünfzig Jahren nicht mehr aus der Welt schaffen kann. Die Zahl derer, die heute noch leben, liegt bei etwa zweihunderttausend, und es werden täglich weniger. Das Einzige, was heute noch getan werden kann, ist, deren Leiden im nachhinein anzuerkennen und sich moralisch zur Verantwortung für das im deutschen Namen begangene Unrecht zu
Weitere Kostenlose Bücher