Was macht der Fisch in meinem Ohr
ist nur eines: Das Entsprechende kann nicht dasselbe sein wie das, dem es entspricht.
Wenn Sie dasselbe wollen – in Ordnung. Lesen Sie das Original.
29. DIE GRENZEN ABSCHREITEN: WAS ÜBERSETZEN NICHT IST
Übersetzer tun alles, was Sprecher üblicherweise tun, wenn sie sich in ihrer eigenen Sprache äußern. Aber nur weil Übersetzer das alles ebenso tun, ist nicht alles, was beim Sprechen getan wird, auch Übersetzung. Über den Einsatz aller sprachlichen Mittel hinaus hat das Übersetzen weitere Merkmale, die ihm eigen sind. Welche das sind oder waren, dies zu zeigen ist Anliegen dieses Buchs.
Wie die Sprache selbst hat das Übersetzen keine starr festgelegten Grenzen, und ähnlich unscharf sind die Grenzen bei vielen anderen Kunstgattungen. Ein Geiger fügt vielleicht von sich aus eine Kadenz hinzu oder wandelt die von einem anderen geschriebene Kadenz ab und spielt dennoch zweifellos Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll. Ein Schauspieler wandelt den Text seiner Rolle das eine Mal vielleicht ab und das andere Mal nicht und verkörpert trotzdem dieselbe Rolle. Ebenso unterliegt die Frage, ab wann eine Übersetzung keine akzeptable Entsprechung der Quelle mehr ist, der Diskussion innerhalb von Rahmenbedingungen, die sich je nach Tradition und Genre stark unterscheiden.
In Indien, wo die gängigen westeuropäischen Vorstellungen vom Übersetzen keine Heimstatt haben, sind Geschichten, Mythen, Legenden und religiöse Texte jahrtausendelang von einer Sprache in die andere gekommen – unter dem Deckmantel der Adaptation oder der Nacherzählung der Quelle. Im Westen haben Dichter sich häufig Quellen angeeignet und sie als Ausgangpunkt für neue Werke in derselben oder einer anderen Sprache benutzt. Der Text, den Queneau für ein von Juliette Gréco gesungenes Lied schrieb – »Si tu t’imagines, fillette, fillette …« –, geht zum Teil auf ein Gedicht von Ronsard zurück und könnte als Übersetzung aus dem Französischen ins Französische gelten, ebenso wie Robert Lowells Imitations , ausdrücklich Gedichten in anderen Sprachen nachempfunden, als Übersetzung gelten könnten und trotzdem genuin neue Arbeiten bleiben.
Zu fragen, ob das, was Queneau mit Ronsard tat, Übersetzung ist oder etwas anderes, heißt nach der Bedeutung von Wörtern fragen – hier der Bedeutung des Worts »translation« und seiner Synonyme. Dabei gelangt man in viele merkwürdige historische, linguistische und kulturelle Seitenstraßen und Gässchen. Im Mittelalter etwa lag eine »translation« vor, wenn die Überreste eines Heiligen von einem Schrein in einen anderen überführt wurden (in dem russischen Wort перевод steckt dieselbe Bedeutung). Die im Ozean vorkommende, nach vorn auslaufende »Translationswelle« ist Teil des Brandungsgeschehens, und im Recht bezeichnet »Übertragung« die Übereignung des Eigentums an einer Sache von einer Person auf eine andere. »Translation« (und seine Übersetzungen) taucht in unendlich vielen amüsanten Zusammenhängen auf: Die Bewegung einer an der Decke entlanglaufenden Spinne heißt im Französischen translation latérale ; Henochs Versetzung von der Erde in den Himmel heißt im Englischen Translation of Enoch , in einigen Gegenden der Schweiz nennt man überhöhte Gebühren oder Abgaben auch »übersetzte«, und so weiter. Roman Jakobson, ein berühmter Sprachwissenschaftler, wollte hier Ordnung schaffen, indem er das Gebiet in drei Teile aufteilte. Er unterschied die Übersetzung zwischen Medien (»transposition«) von der Umbenennung innerhalb einer Sprache (»intralingual translation«) und diese beiden wiederum von der eigentlichen Übersetzung, der von einer Sprache in eine andere (»translation proper«). Was von Jakobson als Präzisierung gedacht war, richtete ein großes Durcheinander an, mit dem wir uns vor Ende dieses Buchs noch befassen müssen.
Viele Kulturtätigkeiten, so auch das Übersetzen, zerfallen vom Grundsatz her in ein »Davor« und ein »Danach«. Stricken, Kochen und die Herstellung von Automobilen sind Prozesse, die mit Ausgangsstoffen anfangen (einem Wollknäuel, essbaren Zutaten oder etlichen separat hergestellten Bauteilen) und mit etwas enden, das von Grund auf anders ist (einem Pullover, einer Mahlzeit oder einem Auto). Das Englische ist so flexibel, dass wir es ohne ernsthaftes Risiko grober Missverständnisse mit dem Wort »translate« sagen können, wenn unser Partner aus einigen Dutzend Hartweizenstäbchen ein Spaghettigericht gezaubert hat, und
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