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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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ein gewisses Maß an Verrücktheit zugestehen. Übersetzer jedoch, deren Arbeitsleben alles andere als sexy ist, sprechen über ihr Tun wie Liebende. Sehr seltsam!
    Unter diesen Umständen verwundert es nicht, wenn Laien keine hohe Meinung von Übersetzern haben. Und anstatt die Zunft zu verteidigen, führen Übersetzungskritiker das Feld derer an, die den Großteil ihrer Arbeit auf den Müll werfen.
    Die meisten Menschen lernen Übersetzungen im schulischen Fremdsprachenunterricht kennen. Ein Erfolgsgefühl beim Erwerb einer anderen Sprache stellt sich in dem Moment ein, in dem man plötzlich beglückt feststellt, dass man in der Fremdsprache lesen, vielleicht sogar denken kann und nicht mehr im Kopf zu übersetzen braucht. Von da an lässt man das Übersetzen hinter sich. Das ist aber nur ein schwacher Trost für diejenigen, die nicht fleißig genug gelernt haben. Und wenn man klassische Sprachen oder moderne Fremdsprachen an einer höheren Bildungseinrichtung weiterstudiert, ist die Verwendung von Übersetzungen fast verpönt.
    Es ist ein merkwürdiges Paradox. Die heftigste Übersetzerschelte kommt genau aus den Kreisen, in denen die Befähigung zum Übersetzen (wenigstens rein theoretisch) am ehesten anzutreffen ist. An vielen Universitäten wird sie bekräftigt durch die Fachbereiche für Literaturwissenschaft, die das Arbeiten mit Übersetzungen nur widerwillig und im Rahmen gesonderter Komparatistikprogramme gestatten. Die Kollegen aus der Geschichte, der Anglistik, der Philosophie, der Soziologie, der Anthropologie und sogar der Mathematik arbeiten natürlich ständig mit übersetzter Literatur. Aber das scheint den Fachbereichen für moderne Linguistik zu entgehen.
    Übersetzungskritik ist nicht immer negativ, aber die Auswahl an Wörtern, mit denen einem Übersetzer Anerkennung für seine Arbeit gezollt wird, ist bemerkenswert klein. Falls Rezensenten überhaupt auf die Übersetzung eines besprochenen übersetzten Werks eingehen und bei der Gelegenheit nicht mit einer oder mehreren der falschen Plattitüden aufwarten, denen wir in anderen Kapiteln dieses Buchs den Boden entziehen wollten, recyceln sie die wenigen lobenden Standardvokabeln: flüssig, witzig, temporeich, genau, glänzend, kompetent, geschmeidig, elegant. Man müsste eine gewaltige Menge von Buchkritiken sichten, um einen flüchtigen Gruß in Richtung der Übersetzer zu finden, der sich nicht in einem dieser Wörter oder seinen Synonymen erschöpft. Es ist zwar nicht einfach, Kriterien für die Beurteilung von Übersetzungen aufzustellen; die kritische Sprache für solche Urteile zu finden ist aber offenbar noch schwieriger.
    Wird im Fremdsprachenunterricht zu Übungszwecken übersetzt, möchte derjenige, der eine Übersetzung angefertigt hat, hinterher wissen, ob sie richtig ist. Da nur wenige Muttersprachler beim Erwerb von Fremdsprachen über Schulkenntnisse hinausgelangen, wollen die meisten Menschen, die eine Übersetzung vor sich haben, dasselbe wissen wie in der Schule. Schon in der Jugend bringt man uns bei, dass es auf »Richtigkeit« ankommt, und durch das Ansprechen des Wettbewerbsgeists bringen Lehrer Kinder dazu, den Gedanken zu verinnerlichen. Etwas falsch zu machen ist beschämend, und das Bestreben, stets die richtige Antwort zu geben, prägt uns nachhaltig. Das ist das Zentrum der Selbstachtung und vieler anderer Überzeugungen, die wir oft leidenschaftlich vertreten. Fragt ein Laie beim Lesen einer Übersetzung: »Aber ist sie auch richtig?«, ist das implizit eine Frage von fast moralischem Gewicht. Aber es ist die falsche Frage. Könnten wir davon absehen, würden viele starke Affekte, durch die Übersetzungskritik so oft zur Schmährede wird, sich abschwächen und vielleicht eines Tages verschwinden.
    Eine Übersetzung kann nicht in derselben Weise richtig oder falsch sein, wie das Ergebnis einer Leistungskontrolle oder ein Kontoauszug richtig oder mit Fehlern behaftet sein mögen. Eine Übersetzung ähnelt eher einem Ölporträt. Der Künstler fügt vielleicht Perlenohrringe hinzu, gibt den Wangen etwas mehr Farbe oder lässt die Silberfäden weg, die an den Koteletten durchschimmern – und schafft trotzdem ein gutes Ebenbild. Es ist schwer zu sagen, worauf genau ein Betrachter zurückführt, dass das Wesentliche in dem Porträt eingefangen ist – auf die Gestalt als Ganzes, aber auch den besonderen Ausdruck der Augen. Die geheimnisvolle Fähigkeit, mit der wir auf visuellem Gebiet erkennen, wenn etwas gut getroffen

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