Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
Vom Netzwerk:
Romans in sonst was) als »transkodieren«. Die Auswirkungen dieser Taktik sind sogar noch schädlicher, da sie zu dem Glauben verführt, Äußerungen seien grundsätzlich als Beispiele von Kodes zu verstehen. Kodes sind sinnreiche und nützliche Dinge, aber schon frühe Abenteuer mit dem Maschinenübersetzen haben eindeutig bewiesen, dass Sprachen sich keineswegs wie Kodes verhalten. Aus einem Theaterstück einen Film zu machen hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit der Umwandlung eines Kodes in einen anderen, und derlei transkodieren zu nennen heißt, einen Ausdruck metaphorisch zu verwenden, ohne zu wissen, was man mit Kode überhaupt meint. 1
    Es ist Brauch, dass die Fellows der Oxford Colleges einmal im Jahr einen Ausflug machen und die Liegenschaften inspizieren, die ihr College in verschiedenen Teilen des Landes besitzt. Sie gehen dann (theoretisch jedenfalls) einmal um die Gründstücke herum. Das nennt man die Grenzen abschreiten, und dasselbe haben wir nun beim Übersetzen getan.
    Auf einer Seite ist es so bewegt wie eine Uferlinie: Ebbe und Flut wechseln sich ab und Küsten verändern ihre Gestalt. Auf anderen Seiten sind die Grenzen fest abgesteckt. Das Übersetzen erstreckt sich nicht überallhin. Sein angestammtes Gebiet ist groß genug.

30. UNTER BESCHUSS: ÜBERSETZEN IM KREUZFEUER DER KRITIK
    Dadurch, dass ein Übersetzer ständig Dinge zum zweiten Mal sagt und sie auf andere Weise sagt, wird er zwangsläufig zum Urheber des neu Gesagten. Ein Journalist, der eine Agenturmeldung umschreibt, ein Sprach- und Rechtssachverständiger, der die von einem Richter am Europäischen Gerichtshof geäußerte Ansicht sprachlich angleicht, ein Schriftsteller, der Puschkin in englische Verse oder Prosa überträgt – alle diese Übersetzer machen das Ergebnis ihrer Arbeit auf ganz persönliche Weise zu ihrer Sache. Übersetzen heißt bis zu einem gewissen Grad nichts anderes, als sich die Quelle zu eigen machen.
    Sich aneignen, zu seiner Sache machen, sich zu eigen machen – das sind Wörter aus der Sprache der Leidenschaften. Und wie steht es um das Verlangen und wie um Eifersucht und Kränkung, die es naturgemäß begleiten?
    Merkwürdigerweise enthält die Übersetzungskritik in den westlichen Sprachen häufig unverkennbare Anzeichen für Zorn und Kränkung. Schulmeister, Literaturkritiker, sogar Fachtheoretiker würdigen Übersetzer habituell durch Beleidigungen herab – schlechte, »sklavisch« am Original klebende, »schematisch« vorgehende, zweitklassige Übersetzer –, wie auch Paare sie sich im Streit um die Ohren werfen. Bist du taub? Prosa? – Das ist farblos, hölzern, schwerfällig! Da hast du dir aber zu viele Freiheiten herausgenommen! Wie kommst du darauf, dir das erlauben zu dürfen? Was Sie da verbrochen haben, junger Mann, nennt man Betrug! Ignorant! Fälscher! Kleines Licht! Dieb!
    Im Jahr 1680 schleuderte John Dryden in seiner tiefsinnigen Vorrede des Übersetzers zu den Heroides von Ovid den Bannstrahl auf einen konkurrierenden Übersetzer, Mr Spence, der »den feinen Spott und das attische Salz Lukians« durch »die grobe Sprache des Londoner Fischmarkts« ersetzt habe. 1 Wie ungehobelt!
    Der Philosoph Schopenhauer schmähte »Menschen von geringen Fähigkeiten«, die »auch in der eigenen Sprache sich stets nur abgenutzter Redensarten bedienen, welche selbst sogar sie so ungeschickt zusammenstellen, daß man merkt, wie unvollkommen sie sich des Sinnes derselben bewußt sind …, so daß [ihr Übersetzen] nicht gar viel mehr als Papageiengeplapper ist«. 2 Esel!
    »Eines der Hauptprobleme bei Möchtegernübersetzern ist ihre Ignoranz«, schimpfte Vladimir Nabokov. Die Beispiele, die er zitiert, nennt er »grauenhaft«, »unglaublich verschämt« und »groteske Plattitüden«. 3
    Ortega y Gasset fasste zusammen, was seit Beginn der Debatte praktisch ununterbrochen wiederholt wurde: »Fast alle bisherigen Übersetzungen sind schlecht.« 4
    Ist es vorstellbar, dass jemand so eine Aussage über ein anderes Gewerbe oder Handwerk trifft? Probieren wir es einfach aus: »Fast alle bisherigen Brandbekämpfer haben versagt«, »Fast alle bisher geführten mathematischen Beweise sind schlecht«, »Fast alle Romane, die vor dem meinen geschrieben wurden, sind zweitklassig«, »Fast alle Frauen, die ich vor dir gekannt habe, waren grauenhaft«. Wahnsinnig wäre, wer so etwas sagen würde, den letzten Satz ausgenommen – und der geht auch nur ausnahmsweise durch, weil wir in Herzensangelegenheiten

Weitere Kostenlose Bücher