Was macht der Fisch in meinem Ohr
außerdem das erste Wort aus dem Titel eines berühmten Romans von Stendhal ist. Sehen Sie’s? Zu der Zeit war das noch niemandem aufgefallen – nicht einmal den Herausgebern und Verlegern von Perecs posthumem Roman. Bravo!, sagte ich zu Heather, meiner scharfsinnigen Studentin. Und was fange ich nun damit an?
In blinder Erfüllung des Wirkungsäquivalenzgebots tat ich das Folgende: Ich laborierte an der englischen Übersetzung des Pseudo-Auszugs herum, bis ich zwölf Wörter mit je zwölf Buchstaben beisammen hatte, die, als Liste niedergeschrieben, Bezug, Selbstbezug und Wahrheitswert von Perecs linker Wortsäule bewahrten.
Der unsichtbare Schlüssel war wieder eingesetzt, ich war recht zufrieden mit mir und setzte deshalb noch einen drauf und erfand eine rein fiktionale Liste für die zwölf Wörter, mit denen Serval das Original verschleiert hatte. Meine zwölf mussten auch plausibel zu den Stellen im plagiierten Text passen, sodass meine Erfindungen für die zweite Liste Rückwirkungen auf die erste und folglich auch auf die Ausgestaltung der Sätze hatten, mit denen ich die angebliche Quelle übersetzt hatte. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Und weil die Aufgabe so knifflig war, beschloss ich, ihr einen persönlichen Dreh zu geben, der im französischen Original nicht vorkommt. Hier sind die zwei Listen auf Englisch.
Ist die Wirkung – nach der vielen Arbeit – äquivalent? Mir ist nicht bekannt, dass meine Nachahmung des Spiels, das Perec spielte, überhaupt eine Wirkung auf Leser gehabt hätte. Oder aber die Fanpost kommt mit 20-jähriger Verspätung.
Eine noch evidentere Schwierigkeit bei dem Begriff der Wirkungsäquivalenz ist, dass es keinen Maßstab für Äquivalenz gibt. »Wirkungen«, erst recht der Gesamteindruck, der von umfangreichen Werken bleibt, lassen sich aus Menschen nicht extrahieren und gegeneinander abwägen. Ebenso wenig kann ein Leser an sich selbst die Wirkungen messen, die zwei Sprachversionen desselben Texts auf ihn gehabt haben. Lesen findet nämlich immer in einer Sprache statt – nicht zwischen zweien. Sprache A von Sprache B abzugrenzen ist heikel genug, eines aber ist gewiss: Es gibt kein linguistisches Niemandsland in der Mitte, genauso wenig wie es einen Mittelpunkt zwischen Dover und Calais gibt, von dem aus man, auf dem Wasser stehend, gleichzeitig von außen auf das Französische und das Englische blicken könnte.
Ein zweisprachiger Leser kann vielleicht vertrauenswürdig beurteilen, ob eine Übersetzung dieselbe Bedeutung vermittelt wie ihre Quelle. Aber kann eine solche Person, so intelligent und feinsinnig sie auch sein mag, begründet behaupten, dieser Baudelaire in deutscher Übersetzung habe auf sie genau dieselbe Wirkung ausgeübt wie dasselbe Baudelaire-Gedicht auf Französisch? So eine Behauptung ist per se unverifizierbar – und meiner Ansicht nach zudem eine sinnlose Aneinanderreihung von Wörtern. Auf Französisch wirkt Baudelaire auf mich zu verschiedenen Zeiten immer wieder anders, und noch breiter dürfte das Spektrum seiner Wirkungen auf die gesamte Leserschaft sein. Welchen dieser Wirkungen zu entsprechen strebt eine Übersetzung denn an?
Die Wahrheit der Literaturübersetzung ist, dass übersetzte Werke und ihre Quellen nicht vergleichbar sind, genauso wie literarische Werke nicht vergleichbar sind, genauso wie individuelle Interpretationen von Romanen, Gedichten und Stücken nur im Gespräch mit anderen Lesern »messbar« sind. Übersetzer suchen nach passenden Entsprechungen, nicht nach Äquivalenzen für die Teile, aus denen ein Werk besteht, und das mit der Hoffnung und der Erwartung, dass sie in ihrer Summe ein neues Werk hervorbringen, das insgesamt als Ersatz für das Original dienen kann.
Deswegen ist Douglas Hofstadters Version des Gedichts von Clément Marot am Beginn dieses Buchs eine Übersetzung dieses Gedichts. Es entspricht vielen (aber nicht allen) semantischen, stilistischen und formalen Elementen der Quelle. Wenn es Ihnen nicht gefällt – ist das Ihre Sache. Aber Sie können nicht behaupten, es sei keine Übersetzung, weil es in seiner Gesamtwirkung oder in der eines seiner Teile oder eines besonderen Merkmals kein »Äquivalent« zur Quelle sei.
Passende Entsprechungen findet man, indem man alle oder eines der Mittel nutzt, mit denen wir etwas in unserer eigenen oder in einer anderen Sprache umformulieren.
Was als befriedigende Entsprechung gilt, ist eine Ermessensfrage und entzieht sich eindeutiger Festlegung. Gewiss
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