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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Kino. Zu meiner Freude und Überraschung erwies sich der Film als eine Parabel vom Übersetzen und deswegen komme ich am Ende dieses Buchs auf Avatar zu sprechen.
    Der Held von James Camerons Science-Fiction-Fantasie ist ein Mensch, der durch Labortechnik in ein anderes Wesen verwandelt wird – drei Meter groß, mit einem Greifschwanz und erstaunlichen Fähigkeiten, sich durch die Lüfte zu bewegen. Seine Aufgabe besteht darin, eine Gesellschaft von eigenartigen Tieren auszuforschen, die einem galaktischen Rohstoffkonzern Schwierigkeiten bereiten, und seinen Vorgesetzten die Informationen zu liefern, die sie benötigen, um die Bewohner von Pandora aus dem Weg zu räumen. Trotz seiner eindrucksvollen neuen Gestalt ist er aber immer noch ein Mensch.
    Nachdem er rein äußerlich Pandoraner geworden ist, wird der Held es jedoch auch in anderer Weise. Er wird sozusagen heimisch und fühlt sich der Gemeinschaft verpflichtet, die ihn inzwischen als einen der ihren akzeptiert. Diese seltsamen Wesen kämpfen darum, sie selbst zu bleiben und ihr bisheriges Leben fortführen zu können. Unser Held macht ihr Recht auf Andersartigkeit zu seiner Sache.
    Ein unverkennbares Anliegen des Films jedoch ist, dass Rücksicht auf andere ein menschlicher Wert ist. Ist unser Held also einer von ihnen oder im Grunde immer noch einer von uns? Bringt der Rohstoffkonzern die Menschheit voran – oder verkörpern die seltsamen Tiere, die ihm im Weg stehen, in Wahrheit das, wonach wir streben und was uns ausmacht?
    Der Film liefert darauf bis zum Schluss keine endgültige Antwort. Es ist die Frage, die sich in gleicher Weise beim Übersetzen stellt und die hier ebenfalls offen bleiben muss. Wie kann eine so stark umgeformte Äußerung – die mitunter das sprachliche Pendant zu einem meterlangen Tierschwanz enthält – im Grunde trotzdem bleiben, was sie war?
    Wie Camerons Fantasie beruht die Praxis des Übersetzens auf zwei Voraussetzungen. Die erste ist, dass wir alle verschieden sind: Wir sprechen verschiedene Sprachen und nehmen die Welt jeweils auf eine Weise wahr, die stark von den Besonderheiten unserer jeweiligen Sprache abhängt. Die zweite ist, dass wir alle gleich sind – die ganze Bandbreite von Gefühlen, Informationen und Auffassungen gemeinsam haben. Ohne diese beiden Voraussetzungen gäbe es kein Übersetzen.
    So wenig, wie es das gäbe, was wir gern gesellschaftliches Miteinander nennen.
    Übersetzen ist ein anderer Name für die conditio humana.

ADIEU BABEL: ANSTELLE EINES EPILOGS
    In den meisten geisteswissenschaftlichen Disziplinen haben die Geschichten der hebräischen Bibel als Quellen oder Werkzeuge des Denkens ausgedient. Nicht so in der Übersetzungswissenschaft. Noch immer sind Fachgelehrte und Essayisten regelrecht fixiert auf den biblischen Bericht von der Entstehung sprachlicher Vielfalt. 1 Aber womöglich könnten sie mit ihrer Zeit auch etwas Besseres anfangen.
    Die Geschichte vom Turmbau zu Babel wird in Genesis 11 erzählt. Im ersten Vers heißt es, dass »alle Welt einerlei Zunge und Sprache« hatte.
    Besonders plausibel ist das nicht. Nichts von dem, was wir über das menschliche Sprachverhalten wissen oder beobachten können, macht es wahrscheinlich, dass es jemals nur eine Sprache gab.
    Die restlichen Verse dieses Abschnitts der Bibel, Genesis 11, 2–9, berichten davon, wie die Vorfahren des jüdischen Volks von der angenommenen Einheitssprache in die sprachliche Vielfalt gerieten, die offenbar in dem Teil der Welt herrschte, in dem sie vor circa 3000 bis 4000 Jahren lebten.
    Die umfangreiche Tradition der Babelkommentierung umwebt die erzählte Geschichte mit religiösen, philosophischen, historischen, kulturellen, archäologischen und philologischen Spekulationen. Haben historische Ereignisse in diesen Versen ihre Spuren hinterlassen? Oder sollten wir sie eher als Sage lesen, die erklärt, wie die Dinge nun einmal sind oder wie sie vor langer Zeit waren? Für die Zwecke dieses Buchs spielt es keine Rolle, ob die zu Ehren des assyrisches Gotts Marduk unweit des heutigen Babil (im Irak) errichtete Zikkurat wirklich existierte oder nicht, ob Herodot sie besucht hat oder nicht und wann sie eingestürzt ist. Für das Verstehen von Sprache und Übersetzen spielt es keine Rolle, ob es einen Zusammenhang zwischen der biblischen Geschichte und der sumerischen Beschwörung des Nudimmud gibt und wenn ja, welchen. Es ist auch unerheblich, ob wir uns aus der Fülle der Babelkommentare diejenigen herauspicken, die

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