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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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ist, ist eng mit dem Gespür verwandt, mit dem wir eine gute Übersetzung erkennen. Im Gegensatz zu denen, die das Modell des Porträtmalers kennen, haben Verwender einer Übersetzung aber keinen vollen Zugang zur Vorlage (sonst brauchten sie die Übersetzung nicht). Vermutlich ist das der Grund, weshalb Übersetzungen so heftige Reaktionen auslösen. Dem Leser bleibt nichts anderes übrig, als sich auf den Übersetzer zu verlassen. Bei Sprache und Schrift aber sind Menschen – aus Gründen, die inzwischen klar geworden sein dürften – ein misstrauischer Haufen.

31. WIE EIN EI DEM ANDEREN? GLEICHHEIT UND ENTSPRECHUNG BEIM ÜBERSETZEN
    Damit eine Äußerung, die in einer anderen natürlichen Sprache wiederholt wird, als Übersetzung gelten kann, muss sie dieselbe Information vermitteln und dieselbe kommunikative Kraft haben. Vielleicht drückt sie etwas aus, was in der Quelle ungesagt blieb (durch eine Textergänzung oder durch zusätzliche Fußnoten), vielleicht lässt sie, das geschieht freilich seltener, auch einmal etwas weg, was im Zielpublikum als bekannt vorausgesetzt werden kann und deswegen nicht so stark betont zu werden braucht wie in der Quelle. Innerhalb dieser Toleranzen aber ist Gleichheit der Information und der kommunikativen Kraft als Maßstab für die Kunst des Übersetzers weithin anerkannt.
    Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass dies nicht die einzigen Merkmale einer Äußerung sind, die bei ihrer Wiederholung in einer anderen Sprache im Grunde erhalten werden könnten. Es wäre nicht allzu schwer, Anzahl und Verteilung der Kommata und Punkte exakt zu reproduzieren, wenn man einen Satz etwa vom Englischen ins Französischen befördert, auch wenn das niemandem in den Sinn käme. (Ich habe einmal kurze Zeit mit einem Autor zusammengearbeitet, der darauf bestand, dass seine Zeichensetzung ein unverzichtbares Merkmal seines Stils sei, doch das bestätigte nur meinen anfänglichen Eindruck, dass der Mann ein bisschen verrückt war.) Ein kompetenter Übersetzer könnte, vorausgesetzt er hat sehr viel Zeit, einen Quelltext mit derselben Anzahl von Wörtern und Schriftzeichen pro Absatz, Satz oder Zeile übertragen; das gehört aber nicht zu seinen einschlägigen Aufgaben. 1 Gleichheit heißt auch nicht, Auswahl oder Verteilung der Buchstaben, wie sie in der Quelle vorkommen, zu wiederholen – es ist eine Ausnahme, wenn Douglas Hofstadter den Titel La Chamade von Françoise Sagan durch That Mad Ache ersetzt. Beim Übersetzen von Gedichten und Songtexten kann es zwingend sein, dass die Silbenzahl pro Zeile dieselbe ist wie im Original, und bei Cartoontexten, Straßenschildern und Bildlegenden für Museen und Ausstellungen sollte die Schriftlänge ungefähr gleich sein. Aber das sind Sonderfälle. Überall sonst ist die Anforderung erfüllt, wenn Sinngehalt und Kraft der Äußerung gleich sind.
    Beim Übersetzen gesprochener Sprache werden Stimme, Tonfall, Mimik und Gestik und das Aufstampfen mit den Füßen in den Wind geschlagen, auch wenn sie wichtige Hinweise darauf liefern, wie die Rede verstanden werden soll.
    Bei vielen anderen Aspekten und Ebenen mündlicher oder schriftlicher Äußerungen gilt als Maßstab, dass die Übersetzung nicht dasselbe liefern muss, sondern ein Gleiches.
    A ist gleich B nur in Bezug auf C. Anders gesagt, für den Vergleich von etwas (A) mit etwas anderem (B) benötigt man ein Drittes, das weder A noch B ist. Worin gleicht die soupe de poisson der chowder ? Der Komparator (das tertium comparationis der Rhetorik) könnte Suppe sein (das wäre jedoch eine etwas magere Gleichheit) oder Meeresfrüchte (das hat schon mehr Gehalt, beides sind Fischsuppen) oder der Umstand, dass beide heiß gegessen werden oder dass beide in Dosen erhältlich sind oder dass beide Sorten dort im Regal stehen. Die »Gleichheit« von soupe de poisson und chowder ist eine Variable und ihr Wert variiert je nach verwendetem oder im Kontext implizit gegebenem Komparator.
    Die Gleichheit als entscheidendes Kriterium beim Übersetzen gilt für verschiedenste Aspekte von Äußerungen. Ob sie bei Sprachebene, Ton, Rhythmus, Stil und Geist erreicht wurde, lässt sich nur mit Bezug auf etwas feststellen, das dem Text selbst äußerlich ist. Ist man beispielsweise der Ansicht, ein englischer fünfhebiger Jambus entspreche Racines zwölfsilbigen Zeilen, hat man damit festgestellt, dass der soziale und kulturelle Wert von zwei dichterischen Formen in zwei unterschiedlichen Gesellschaften sich gleichen. Nun

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