Was macht der Fisch in meinem Ohr
einem fast mystischen Sinne, die Mutter unseres Ichs – sei die Sprache, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind. »Muttersprache« ist kein neutraler Terminus, sondern ist befrachtet mit einem wirren Gemisch von Vorstellungen über den Zusammenhang von Sprache und Individualität und bürdet diese Last uns auf, wenn wir ihn als natürlichen, unproblematischen Namen für unsere sprachliche Heimat ansehen.
Zwar mögen wir alle von Geburt an mit der Anlage zum Spracherwerb und dem Drang danach ausgestattet sein, mit einem »Spracherwerbsmechanismus (language-acquisition device)«, wie Linguisten es genannt haben, der zur Hardware unseres Gehirns gehört, in einer bestimmten Sprache geboren sind wir jedoch nicht: Alle Babys sind zu Beginn ihres Lebens sprachlos. Dennoch verwenden wir den Begriff »Muttersprachler«, als ob das Gegenteil zuträfe – als ob die Sprache, die wir ganz natürlich, wenngleich nicht ohne Anstrengung aus unserer jeweiligen kindlichen Umgebung übernehmen, ein Geburtsrecht wäre, ein Erbe und die ein für alle Mal festgelegte, unveränderliche Heimatanschrift unserer sprachlichen Identität. Aber Französisch oder Englisch oder Tagalog zu können ist kein Geburts- und erst recht kein ererbtes Recht: Es ist eine persönliche Errungenschaft. Und von muttersprachlicher Beherrschung (»native command«) einer Sprache zu sprechen, bezeichnet den Sachverhalt wiederum nur annähernd und ist in gewisser Weise nicht weniger irreführend, als spräche man vom Besitz einer Muttersprache (»mother tongue«).
Zu welcher merkwürdigen Ideologie diese linguistischen Termini geronnen sind, kann man an britischen und amerikanischen Universitäten besichtigen, die Kandidaten für eine Stelle als Dozent für Sprachwissenschaften in der Regel eine »muttersprachliche oder quasi-muttersprachliche Kompetenz« in der zu unterrichtenden Sprache abfordern. Was um alles in der Welt soll »quasi-muttersprachlich« bedeuten? Praktisch wohl »sehr, sehr gut«. Indirekt bedeutet es, dass man sehr gut in Französisch oder Russisch oder Arabisch sein kann, auch wenn das kein Geburtsrecht ist. Offensichtlich aber impliziert die Formel: erstens, dass es einen Unterschied gibt zwischen denen, die in eine Sprache A »hineingeboren« wurden, und denen, für die das nicht zutrifft; und zweitens, dass dieser Unterschied für die Zwecke des Hochschulunterrichts in der Sprache A keine Rolle spielt. Und nun wird es kurios: Wenn Letzteres gilt, wie kann Ersteres dann stimmen?
Sprachwissenschaftler unterscheiden zwischen Sätzen, die grammatisch und lexikalisch »akzeptabel« und solchen, die »nicht akzeptabel« sind, und berufen sich dafür auf das intuitive Urteil von Muttersprachlern. Die »muttersprachliche Kompetenz« ist das Kriterium, nach dem am häufigsten darüber befunden wird, was durch die Grammatik einer Sprache erläutert werden muss. Nun mag es auf der Hand liegen, dass »Jill loves Jack (Jill liebt Jack)« ein englischer Satz ist, »Jill Jack loves (Jill Jack liebt)« hingegen nicht, und dass eine Grammatik des Englischen erläutern sollte, warum der erste Satz akzeptabel ist, der zweite hingegen nicht. Wenn man aber die Abgrenzung zwischen dem, was Englisch ist und was nicht, allein auf die Urteile von Muttersprachlern gründet, gerät man mit dem Projekt, eine Grammatik zu verfassen, in einen schwindelerregenden Circulus vitiosus. Woran erkennen wir denn, ob das Englisch, das jemand spricht, seine Muttersprache ist oder nicht? Nur durch Berufung auf die Grammatik, die ihrerseits wiederum erst durch Berufung auf die Urteile von Muttersprachlern entstanden ist. Es gibt aber keinen Königsweg für die zweifelsfreie Entscheidung, wer eine Sprache als Muttersprachler verwendet und wer nicht. Meist verwenden wir nicht einmal formalisierte Tests, sondern verlassen uns auf die Auskunft, die jemand uns gibt. Und liegen folglich häufig falsch.
Soll heißen, jemand, der Englisch spricht, kann nicht zuverlässig feststellen, ob ein anderer, der die Sprache ebenfalls spricht, sie in der Krippe, in der Schule oder auf anderem Wege erworben hat. Noch weniger sind wir in der Lage, die »Muttersprachler« von den anderen zu unterscheiden, wenn es um Schriftsprache geht. Ich werde manchmal, wenn ich Französisch spreche, fälschlicherweise für einen Franzosen gehalten. Und doch bin ich in der allgemein akzeptierten Bedeutung des Worts kein »Muttersprachler«: Französisch habe ich in der Schule gelernt, bei einem sanftmütigen
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